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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
Autoren: Lenka Reinerova
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Rascheln langer Gewänder, auch das eilige Trippeln ständig um ihre Lieben besorgter, ausnahmslos mit einer Kopfbedeckung ausgestatteter Familienmütter zu hören. Dieses Bekleidungsstück besagte, daß die Frau verheiratet war und nur mehr ihrem angetrauten Gatten gefallen durfte. Porträts aus jener Zeit verraten allerdings, daß so mancher von ihnen das oft recht kunstvoll verzierte Häubchen außerordentlich gut stand und ihre Schönheit – gewollt oder ungewollt – verführerisch unterstrich.
    Auch das unverständliche Raunen betender Männer aus den verschiedenen Synagogen schien hier auf mich einzudringen, all das Schwerverständliche, mit Mystik und Legenden, auch Verständnislosigkeit und bösen Verleumdungen behaftete, nur zum Teil enträtselte Geheimnisvolle, das in diesen engen Straßen in der Luft hing, als ob inzwischen nicht Jahrhunderte vergangen wären. Weiß denn heute überhaupt noch jemand, daß die jüdischen Bürger der Stadt im 17. Jahrhundert Ferdinand III. bei der Verteidigung Prags gegen die schwedischen Eindringlinge geholfen haben? Zum Dank widmete er ihnen eine Fahne, die mehrere Kriege und Regimes überlebt hat und die man nunmehr in der Alt-Neuschule besichtigen kann.
    Ich betrat allerdings fast nie eine Synagoge, war dazu von Haus aus nicht angeleitet worden. Was mich jedoch faszinierte, waren die Spuren des Lebens, die ringsum verankert blieben, die Zeichen der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Menschen, die nur auf diesem begrenzten Stückchen unserer Stadt hausen durften – und die hier nicht nur hausten, sondern so lebten, daß man ihrer nochheute mit Respekt, aber auch ein wenig erschaudernd, vielleicht sogar beschämt und betroffen gedenkt. Wie oft wurden die Bewohner dieser Gassen und Plätze nicht verfolgt, aus ihren Heimen verjagt und umgebracht.
    Als ich Mitte der dreißiger Jahre in nächster Nachbarschaft des einstigen Prager Ghettos wohnte, bildete es noch keine Touristenattraktion und wurde nur sporadisch von Ausländern aufgesucht. Wenn ich den Alten Jüdischen Friedhof betrat, wo die Menschen schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bestattet worden waren, war ich zumeist ganz allein. Nur große schwarze Raben flogen laut krächzend von den Bäumen auf die Grabsteine nieder und dann wieder zurück in die dichten Baumkronen. Waren auch sie uralt? Was hatten sie hier schon gesehen, wen hatten sie schon begleitet? Kennen sie etwa das Geheimnis des an diesem Ort gleichfalls begrabenen Rabbi Löw, der den wandelnden Homunkulus Golem erschaffen haben soll? Haben sie später, in jüngster Vergangenheit, gesehen, was mit den Menschen aus ihrer Umgebung geschah? Sie stehen zu Recht unter Denkmalschutz, diese schwarzen Zeugen von einst, die von all dem nichts verraten.
    Einmal schloß sich mir ein alter Mann an, der hier eine Art Wächter und Fremdenführer in einer Person darstellte. Da nur selten jemand kam, den er herumführen konnte, begann er wohl wenigstens mit mir ein kleines Gespräch.
    »Bist du Jüdin?« fragte er und nahm seine Hornbrille ab, vielleicht, um mich besser betrachten zu können.
    »Ja.«
    »Wo wohnst du?«
    Merkwürdige Frage. »In der Melantrichgasse.«
    »Also in der Nähe. Kommst du öfters hierher, ich habe dich noch nie gesehen.«
    »Nein, nur manchmal.«
    »Warum?«
    »So. Man geht nicht oft auf einen Friedhof.«
    »Nein? Auch wenn er dir erzählen kann, was du sonst nicht erfährst?«
    Ich stutzte. Verstand den unausgesprochenen Vorwurf, aber auch das blaß angedeutete Angebot.
    »Ich weiß nur sehr wenig«, sagte ich in der Hoffnung, den alten Mann zum Erzählen anzuregen.
    »Das habe ich schon erkannt«, bemerkte er trocken, »also hör jetzt zu.«
    Er setzte die Brille wieder auf, strich ein paar weiße Haarsträhnen unter seinen runden schwarzen Hut, blickte gleichsam über mich hinweg und erklärte mir zuerst die Zeichen der verschiedenen jüdischen Stämme auf den verwitterten Grabsteinen: Hände für die Aron und Kohein, eine Kanne für die Löwi, für die Jehuda ein Löwe usw. Auch den Beruf der Verstorbenen könne man von den uralten Steinen ablesen, sagte er und blickte mich nun wieder an, selbst wenn die Zeichen oft erheblich verwaschen seien.
    »Schau genau hin«, forderte er mich auf, »eine Schere besagt, daß hier ein Schneider ruht, ein Mörser deutet einen Apotheker an, eine Pinzette einen Arzt.« Nach diesen Ausführungen machte er eine Pause, hustete ein wenig, schneuzte sich gewaltig und fuhr dann fort:
    »Merk
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