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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
Autoren: Lenka Reinerova
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teilte. Die Katastrophe der Besetzung meiner Heimat durch Hitlers Wehrmacht hatte ich aus derFerne bei einem zufälligen journalistischen Kurzaufenthalt in Rumänien erlebt. Der zog sich etwas in die Länge, weil ich nicht mehr nach Hause zurückkehren konnte und infolgedessen allerhand Stempel, Bewilligungen, Fahrkarten besorgen und andere notwendige Gänge erledigen mußte. Erst dann konnte ich aufbrechen und landete nach einem längeren Umweg über Italien in Frankreich und in dem winzigen Pariser Hotelzimmer.
    Ich warf mein bißchen Gepäck in den Kasten, hing meine Tasche, in der sich noch Reste meines Reiseproviants befanden, an die Klinke des ungewöhnlich hohen Fensters, fiel völlig durchgedreht und todmüde auf das französisch breite Bett und schlief wohl sofort ein.
    Nach einiger Zeit weckte mich ein lautloses und zugleich doch geräuschvolles Rascheln, verbunden mit einem gewissen Luftzug. Erst lauschte ich ein wenig in der unruhigen Dunkelheit, ob nicht etwa ein bedrohliches Wesen um mein Bett strich, dann faßte ich mir ein Herz und knipste das Licht auf dem Nachttischchen an. Du meine Güte!
    Meine Reisetasche schaukelte gewaltig hin und her (das hatte offenbar den Luftzug hervorgerufen, den ich verspürt hatte), und auf einer Leiste, die über die wildgemusterte Tapete bis zum Griff des Fensters führte, marschierten in beiden Richtungen munter, fast in geschlossenen Reihen, kleine und größere Mäuse. Sie schlüpften in die Tasche, dort piepsten sie ein bißchen, wahrscheinlich im Kampf um einen ordentlichen Brocken, dann erschienen sie wieder, manche noch mit einem Krümel zwischen den kurzen Barthaaren, und kehrten flink in ihre unsichtbaren Schlupflöcher zurück. Es hatte den Anschein, als ob die Mäuse aus dem ganzen Hotel bei mir zu Gast waren, denn so viele konnten kaum in dem kleinen Zimmer hausen.
    So also sah meine erste Nacht in Paris aus. In der Mäuseresidenz blieb ich allerdings nur wenige Tage, wobei sich die folgenden Nächte dort schon ruhiger gestalteten, weil ja auch von meinem Reiseproviant nichts mehr übrig war.
    Emigranten haben immer und überall ständig mit denBehörden ihres Gastlandes zu tun. Oder genauer, sie werden ständig von seinen Behörden mit Verwarnungen, Vorladungen, Verboten und Anweisungen heimgesucht. Ich erhielt in Frankreich Aufenthaltsverbot im Departement Seine, in dem sich Paris befindet. Das war schlimm, denn wo in der Provinz hätte ich mich mutterseelenallein zurechtfinden und tunlichst auch noch einen Lebensunterhalt auftreiben können? Ganz abgesehen davon, daß ich, wenn schon hierher verschlagen, den Wunsch hatte, Paris auch auszukosten und zu genießen. Und nun wollte man mich aus dieser Märchenstadt verjagen. Jemand riet mir, im benachbarten Departement Seine-et-Oise um Aufenthaltsbewilligung nachzusuchen, da sei man schon weniger streng. Ich versuchte es, und – o Wunder! – es gelang. Man gab mir den ersehnten Stempel, und so konnte ich mich in Versailles etablieren, das eine elektrische Zugverbindung mit Paris hatte, die kaum eine halbe Stunde in Anspruch nahm. Überdies lebte dort mein Prager Freund und Nachbar aus der Melantrichgasse, der Rasende Reporter Egon Erwin Kisch, mit seiner Frau Gisl. Hier war ich nicht allein.
    Das Hotel, in dem ich einzog, hieß Moderne, was es freilich bei weitem nicht war. Aber das bereitete mir keine Sorgen. Wiederum bekam ich eine Mansarde und hatte, wie in der Melantrichgasse, eine schräge Zimmerdecke über dem Kopf, was auf mich anheimelnd wirkte. Nur gab es hier kein großes, sondern eher ein recht kleines Fenster, und die Aussicht war ganz anderer Art als die zu Hause.
    Was sich jetzt meinem Blick darbot, waren nicht Dächer und Türme wie in Prag, sondern das niedrige Gebäude des Ballhauses, das als Jeu-de-Paume in die französische Geschichte eingegangen ist. Dort haben in stürmischer Zeit die Abgeordneten des Dritten Standes am 20. Juni 1789 den Schwur geleistet, bis zur Schaffung einer Verfassung für ganz Frankreich gerade hier als Nationalversammlung auszuharren und zu funktionieren.
    In der besonderen Atmosphäre von Versailles lernte ich nun einen neuen Egon Erwin Kisch kennen. Hier waren esnicht die Prager Legenden und Pariser Histörchen, die aus ihm hervorsprudelten, sondern wahre Begebenheiten, auch Anekdoten, aus der revolutionären Geschichte Frankreichs.
    »Warst du schon im Ballhaus?« erkundigte sich mein Versailler Hausgenosse am zweiten Tag nach meinem Einzug.
    »Aber Egonek,
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