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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe
Autoren: Daniela Larcher
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Die alte Frau brach vor lauter Glück in Tränen aus, als Morell ihr in einer feierlichen Geste die große Urne übergab.
    »Sie haben endlich meinen Sohn zu mir zurückgebracht und mich damit zur glücklichsten Frau der Welt gemacht. Wie kann ich Ihnen nur danken?«, rief sie mit tränenerstickter Stimme und schlang ihre knochigen Ärmchen um den fülligen Leib des Chefinspektors.
    »Ach«, winkte Morell ab, der von Frau Horskys Gefühlsausbruch ziemlich gerührt war. »Ich habe doch nur meinen Job gemacht. Ihr Apfelstrudelrezept ist Dank genug.«
    Frau Horsky ließ Morell los, schnäuzte sich und lächelte. »Aber natürlich«, sagte sie. »Das Rezept. Sie werden überrascht sein! Einen kleinen Moment noch – ich mache es meinem Benedikt noch schnell gemütlich, und danach werden wir zwei das Strudelgeheimnis lüften.« Sie stellte die Urne auf einen kleinen Beistelltisch und drapierte vorsichtig ein paar Kerzen drum herum. »So«, sagte sie, als sie fertig war. »Dann hole ich Ihnen mal schnell Ihre Belohnung.« Sie lächelte verschmitzt und ging in die Küche. Wenige Augenblicke später kam sie zurück und drückte Morell eine Packung tiefgefrorenen Fertigstrudel in die Hand.
    Die alte Dame hatte ihn offenbar nicht richtig verstanden. »Nein, nein, ist nett gemeint, aber so was brauche ich nicht. Mir geht es doch nur um Ihr Rezept.«
    »Das ist das Rezept.«
    Morell starrte erst Frau Horsky und dann die eisige Strudelpackung mit offenem Mund an. »Aber das ist …«
    »Fertigstrudel vom Discounter«, sagte Frau Horsky immer noch lächelnd. »Backrohr vorheizen, Apfelstrudel reinschieben und dann bei 180 Grad circa 15 Minuten goldbraun backen.«
    Morell konnte es nicht fassen. Jahrelang hatte er alles Menschenmögliche versucht, um das Geheimnis von Frau Horskys Strudel zu lüften, und jetzt das! Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Ähm … ja … ich glaube, ich muss dann mal los.«
    Er gab Frau Horsky die Packung zurück und verließ die Wohnung. Er würde wohl ein bisschen Zeit brauchen, um diesen Schock zu verdauen. »Fertigstrudel«, murmelte er fassungslos, während er die Tür zu Capellis Wohnung aufsperrte. »Und dann auch noch vom Discounter.«

»Möge uns das Wort verfolgen und nicht zur Ruhe kommen lassen, bis man uns ins Grab bettet.«
    Albert Schweitzer
    Um sich von dem Strudel-Schock zu erholen, beschmierte Morell erst mal ein Knäckebrot mit Margarine, streute ein bisschen Salz darauf und biss herzhaft hinein. Dann rief er bei Wojnar an, um ihm zu sagen, dass er Harr nicht mehr weiter zu suchen brauche und sich stattdessen auf die Suche nach Harrs Freundin Theresia machen solle. Zwar hatte er den Inspektor bereits nach dem Besuch bei Uhl angerufen, ihn aber nicht erreichen und nur eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen können. Nun hob Wojnar ab und erzählte, dass er auf Morells Nachricht hin bereits eine Liste der Krankenschwestern, die 1978 im AKH tätig waren, angefordert hätte. Sie müsse jede Sekunde eintreffen und er würde sich gleich darum kümmern – dann wurde er plötzlich ernst.
    »Otto, es gibt da ein neues Problem«, sagte er.
    »Was ist passiert?«
    »Unsere Theorie ist doch wohl wahr – das ist das Gute an der ganzen Sache. Roman will jetzt nämlich deinen Spuren nachgehen.«
    »O nein!«, rutschte es Morell lauter heraus, als er gewollt hatte. »Sag jetzt nicht, dass schon wieder ein Mord geschehen ist.«
    »Beruhige dich, Otto. Niemand ist gestorben.«
    »Aber?«
    »Es gab einen Mordversuch, der glücklicherweise gescheitert ist.«
    »O Gott. Wer? Nagy? Zuckermann?«
    »Nein. Es hat keinen der alten Herren getroffen, sondern Novaks Assistenten Moritz Langthaler. Er wurde mit einem massiven Aschenbecher niedergeschlagen, als er ein paar Unterlagen aus Novaks Büro holen wollte. Ernst Payer, dessen Büro sich neben Novaks befindet, hat ihn glücklicherweise gefunden.«
    Morell war völlig vor den Kopf gestoßen. Der junge Archäologe passte überhaupt nicht ins Bild. »Wie geht es Langthaler? Ist er ansprechbar?«
    »Nein, noch nicht. Erst sah es nicht gut für ihn aus, aber mittlerweile haben die Ärzte ihn stabilisiert. Ich halte dich auf dem Laufenden!«
    Morell bedankte sich und legte auf. Langthaler. Warum er? Stand er auf der Liste des Täters, oder war er einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen? Er vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte, sich zu konzentrieren. Es ergab alles keinen Sinn. Wer konnte etwas gegen Langthaler
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