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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe
Autoren: Daniela Larcher
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die Jahre an ihr gezehrt hatte.
    »Bitte hören Sie auf!«, bat Uhl. »Ich habe lange genug gelitten und war so froh, als die Erinnerungen endlich verblasst sind. Ich will mich einfach nicht mehr daran erinnern.«
     
    Er ballte die Hände zu Fäusten und merkte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Dieser feige Hund hatte einfach alles verdrängt und sich vor der Verantwortung gedrückt. Dieses miese Schwein hatte sich einfach aus der Affäre gezogen und ein angenehmes Leben in Wien gelebt.
    »Na warte!«, flüsterte er und strich über das Messer, die Handschellen und den Knebel, die sich in seiner Jackentasche befanden. »Niemand kann seiner gerechten Strafe entgehen.«
     
    »Wie hieß Harrs Freundin mit vollem Namen?«, fragte Morell.
    Uhl zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie hat mir damals einen Brief geschrieben und mich mehrmals besucht, aber den Brief habe ich sofort weggeworfen und die Tür auch irgendwann nicht mehr aufgemacht.«
    Morell seufzte. »Denken Sie nach! Ich würde gern mit ihr reden.«
    Uhl fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Sie war eines von diesen unscheinbaren Mauerblümchen«, versuchte er sich zu erinnern. »Nichts Besonderes. Eine kleine, graue Maus, die wie eine Klette an Harr hing. Kein Wunder, dass er so hin und weg von der schönen, stolzen Ghada war.« Er rieb sich über die Stirn. »Wenn ich mich nicht täusche, hat sie im AKH als Krankenschwester gearbeitet.«
    »Gut«, nickte Morell. »Das ist doch schon mal was. Theresia Irgendwas, die in den 70er Jahren im AKH gearbeitet hat. Das sollte sich eruieren lassen.«
     
    Beinahe hätte er laut losgeflucht. Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Das könnte Probleme machen. Er musste sich dringend etwas einfallen lassen.

»Und als das kleine flache Grab zugeschüttet war, fiel er auf die Knie und verbeugte sich vor dem kleinen Hügel bis zur Erde.«
    Fjodor M. Dostojewski, Die Brüder Karamasow
    Die Atmosphäre im Wald von Landau war ruhig und friedlich. Die Sonne schickte ein paar sanfte Strahlen durch die Tannen, und hie und da huschte ein Eichhörnchen durch das Unterholz und suchte nach Nahrung. Einzig Bender, der gerade einen kleinen Waldweg entlangstapfte, verbreitete eine Aura von Stress und Panik.
    Erich Altmann, der Förster, hatte ihn angerufen und in den Wald zitiert. »Es gibt da etwas, was du dir ansehen solltest«, hatte er gesagt und dabei nicht gerade zuversichtlich geklungen.
    »Tja«, stellte Altmann nun fest, als Bender ihn endlich auf einer Lichtung gefunden hatte. »Sieht leider nicht gut für dich und Fred aus.« Er zeigte auf einen Tierkadaver und blutige Fellfetzen, die im hohen Gras lagen. »Da war Reineke Fuchs wohl schneller.«
    »O nein!« Bender schlug die Hände vor den Mund und machte einen kleinen Schritt auf den Kadaver zu. »Ist das wirklich Fred? Ich meine … ich bin mir nicht einmal sicher, dass es eine Katze ist.«
    »Bist du blind?« Altmann hob einen abgebrochenen Ast vom Boden auf und drehte damit das tote Tier um.
    Bender holte tief Luft und ließ sie langsam durch die Nase wieder entweichen. Es waren tatsächlich die Überreste einer Katze, und sie hatte genau die gleiche Farbe und Musterung wie Fred.
    »Ich dachte, ich zeig es dir, bevor du noch mehr Zeit und Energie in die Suche steckst.« Altmann klopfte dem fassungslosen Bender auf die Schulter. »Nimm’s nicht so schwer.«
    »Von wegen nicht so schwer nehmen. Sie haben gut reden! Sie müssen ja auch nicht dem Chef beibringen, dass Sie Schuld am Tod seines kleinen Lieblings tragen.« Er dachte kurz nach. »Haben Sie zufällig eine Schaufel dabei?«
    »Ja, was willst du denn damit?«, fragte Altmann erstaunt.
    »Na was wohl? Ich kann den armen Fred doch nicht einfach so hier liegenlassen. Er hat zumindest ein Grab verdient.«
    Altmann griff sich an den Kopf. »Wir reden hier über eine Katze.«
    Bender knirschte mit den Zähnen. »Er war immerhin der beste Freund vom Chef«, sagte er und ging mit Altmann zum Auto, um die Schaufel zu holen.

»Dann nur ein Grab auf grüner Flur,
    Und nah nur, nah bei meinem Neste,
    In meiner stillen Heimat nur!«
    Anette von Droste-Hülshoff, Letzte Gaben
    Morell klingelte mit dem Modell GESEGNET unter dem Arm an Frau Horskys Wohnungstür. »So viele Jahre haben wir nicht gewusst, wo du steckst«, sagte er und tätschelte die Urne. »Deine Mutter wird sich echt freuen, wenn sie erfährt, wie alles gewesen ist.«
    Frau Horskys Freude war tatsächlich überwältigend.
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