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Zu gefährlicher Stunde

Zu gefährlicher Stunde

Titel: Zu gefährlicher Stunde
Autoren: Marcia Muller
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näherte ich
mich langsam und umsichtig. Das hohe Gras raschelte, Disteln verfingen sich an
meiner Jeans. Staub stieg auf, und ich musste niesen, konnte mir aber gerade
noch den Unterarm vors Gesicht drücken.
    Mein Gott, woher diese plötzlichen
Probleme in freier Natur?
    Als ich zu den Kühlräumen gelangte,
erspähte ich ein weiteres Licht, diesmal gelblich. Jemand hatte die hohen
Fenster des vorderen Raums mit Brettern vernagelt. Das Licht kam von der
Hinterseite des Gebäudes. Ein Holzstapel blockierte die Stufen. Ich ging ums
Haus herum zu dem schmalen Durchgang, der es von der Scheune trennte, und
spähte hinein. Alles dunkel bis auf ein flackerndes Licht, das die Umrisse des
Türrahmens im Inneren erhellte.
    Hier war etwas faul.
    Ich schob die Taschenlampe in die Jacke
und holte den Magnum heraus. Stand ganz reglos, horchte auf Bewegung, Atem,
egal was. Völlige Stille. Plötzlich ein Rascheln, als wäre ein kleines Tier ins
Gebüsch gerannt.
    Hier war etwa ganz und gar faul. Ich
hätte auf Verstärkung —
    Ein Geräusch hinter mir. Bevor ich mich
umdrehen konnte, legte sich ein kräftiger Arm um meinen Hals. Jemand griff nach
meiner rechten Hand. Ich spürte einen schneidenden Schmerz, konnte nach dem
Hieb die Waffe nicht mehr halten. Der Angreifer wirbelte mich herum und zerrte
mich rückwärts in den Kühlraum.
    Ich wehrte mich, wollte ihm vors
Schienbein treten. Er lachte — ein vertrautes, irres Gackern, bei dem es mich
kalt überlief. Ich kämpfte weiter. Trat nach ihm, wollte ihn in den Arm beißen.
Keine Chance. Er schleppte mich ins nächste Zimmer, in dem eine Öllampe auf dem
Boden stand. Stieß mich so hart gegen die Wand, das ich abprallte und quer über
den alten Metallschreibtisch fiel. Mir blieb die Luft weg, alles verschwamm vor
meinen Augen.
    Keuchend stützte ich mich auf die
Ellbogen. Sah wieder scharf. Dominguez stand ein Stück entfernt und zielte mit
einer 45er auf mich — und nicht mit der billigen Knarre von Darrin Boydston.
    »Keine Messer, und es ist auch nicht
Mitternacht, aber du bist drauf reingefallen. ›Ray Rios, Olompali State Park‹«,
fügte er mit einer Imitation des Parkwächters hinzu. »›Ich habe Dan Jeffers
gefunden, er versteckt sich in einem der Kühlräume bei der Scheune.«‹
    Und ich Trottel war tatsächlich darauf
hereingefallen!
    Ich war wütend auf mich und gewann so
die Kontrolle wieder. Holte tief Luft, stellte die Füße auf den Boden und
musterte Dominguez eingehend. Das Lampenlicht betonte seine scharfen Züge. Die
Narben, die verzerrten Lippen, die leblosen Augen. Er war beträchtlich
gealtert, aber die Augen schienen unverändert. Vermutlich war er so geboren.
    »Für dich sind alle spanischen Akzente
gleich, was?«
    Ich schätzte die Entfernung zwischen
uns, die Entfernung zu beiden Ausgängen.
    »Hab ich Recht?«
    »Die Verbindung war schlecht.
Vermutlich mit Absicht. Und du bist ein guter Imitator. Wann hast du mit Ray
gesprochen?«
    Ich kann nicht zu der Tür raus, durch
die er mich reingeschleppt hat - er steht genau davor. Vielleicht kann ich mich
seitlich vortasten, die Tür rechts nehmen, aber davor liegt der Holzstapel. Und
er hat die Waffe.
    Besonders gut ist beides nicht.
    »Ich bin dir an dem Tag gefolgt, an dem
du dich nach Scott Wagner erkundigt hast. War beim alten Ray und hab ihm
erzählt, du seist eine Schnüfflerin, wollte wissen, was du hier gesucht hast.
Der Typ hat geredet wie ein Wasserfall.«
    »Was hast du mit ihm gemacht?«
    »Nichts. Hab ihn nicht mehr gesehen.
Liegt sicher im Bett. Niemand weiß, dass wir hier sind.«
    »Und was ist mit Dan Jeffers?«
    Er machte eine verächtliche
Handbewegung. Sein Gesichtsausdruck sagte alles. Der Mann war tot.
    »Hast du ihn in Sly Rawsons Haus
umgebracht?«
    »Nein. Sly ist letzte Woche wieder
hinter Gitter gewandert, die haben ihm was angehängt. Er sagte, ich könnte da
wohnen, solange wie die Miete bezahlt ist. Ich dachte, du würdest vielleicht
drauf kommen, und hab alles für dich arrangiert. Keine Sorge, Dan ist längst
hinüber. Hab nur seine Brieftasche, die Pillen und den Bus behalten. Wir sind
allein, puta. « Er machte einen Schritt auf mich zu.
    Ich wankte nicht. Sein Mundwinkel
verzog sich, die Augen schossen wild hin und her. Die Hand mit der Waffe
zuckte. Mit Drogen vollgepumpt, übersteigertes Selbstbewusstsein, außer
Kontrolle.
    »Wir sind allein.«
    Mit einer einzigen Bewegung stieß ich
mich vom Tisch ab und trat nach der Öllampe. Das Glas zerbrach, eine
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