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Zores

Zores

Titel: Zores
Autoren: A Pittler
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Fassungslos registrierte er, dass am Parlament bereits Hakenkreuzfahnen aufgezogen worden waren. Es war erstaunlich, wie schnell alles vor sich ging. Normalerweise dauerten derartige Dinge immer eine hübsche Weile, wie er noch gut aus der Zeit des Übergangs von der Monarchie zur Republik in Erinnerung hatte. Damals hatte man noch Monate hindurch wie selbstverständlich die monarchistischen Insignien verwendet, sei es nun aus Sentimentalität oder aus Sparsamkeit gewesen. Nun aber verschwand der Dollfuß-Staat von einer Minute auf die andere, was denn doch bemerkenswert erstaunlich war. Bronstein konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass all diese Schritte schon seit Monaten minutiös geplant worden waren.
    Aber das passte ja perfekt ins Bild. Schon seit Schuschnigg einen Monat zuvor in Berchtesgaden vor Hitler in die Kniegegangen war, musste man mit einer braunen Zukunft Österreichs rechnen. Und genau das hatten die Nazis selbst offensichtlich auch getan. Sie hatten sich bereitgehalten und triumphierten nun in Anbetracht ihres Sieges. Von überall kamen sie hervorgekrochen, selbst bei den beiden Museen hatte sich eine Gruppe in braunen SA-Uniformen eingefunden, die lautstark irgendwelche Parolen skandierte. Bronstein schlug den Mantelkragen hoch und hastete in der Hoffnung, nicht aufzufallen, weiter. An der Babenbergerstraße vorbei, näherte er sich endlich der Oper. Wenn er erst einmal zu Hause war, dann würde er sich in Sicherheit befinden, sagte er sich, doch sogleich packte ihn wieder die Panik. Den Schmitz hatten sie ja offenbar auch aus seiner Dienstwohnung geholt. Warum also sollte sein Domizil ein sicherer Ort sein?
    Bronstein erinnerte sich, während er den Platz rund um die Oper passierte, wie anno 1934 die Sozialdemokraten der Reihe nach verhaftet worden waren. Die Dollfuß-Leute hatten sich einfach die Auszüge aus den Melderegistern geholt und waren danach vorgegangen. Der Verhaftung entgangen war nur, wer eben nicht zu Hause genächtigt hatte. Er war bereits vor seinem Haustor angekommen, als ihn exakt dieser Gedanke streifte.
    War er wirklich gefährdet? Sollte er in einem Hotel übernachten? Allmählich anwachsender Lärm ließ ihn nach links blicken. Ein weiterer Sturmtrupp marschierte in Richtung Kärntner Straße, und einem spontanen Impuls folgend, schloss Bronstein das Haustor auf, um hinter diesem Deckung zu suchen. Und da er nun ohnehin schon im Gebäude war, konnte er sich tatsächlich auch in seine Wohnung begeben. Die nächsten Stunden, so versuchte er sich zu beruhigen, würden die Nazis mit Feiern verbringen, da konnte er wenigstens ein paar Stunden Schlaf finden. Und der erste Zug nach Norden gingohnehin erst gegen sechs Uhr morgens, also hätte es gar keinen Sinn, sich länger als nötig am Bahnhof herumzutreiben.
    Bronstein stellte fest, dass er Mühe hatte, die Wohnungstür zu öffnen, denn seine Hände zitterten konstant. Er benötigte mehrere Anläufe, um endlich das Schlüsselloch zu treffen. Mit fahrigen Bewegungen riss er die Tür auf und griff, kaum im Inneren seiner Behausung angelangt, automatisch nach dem Schnaps. Er genehmigte sich ein größeres Quantum und linste dann auf seine Uhr. Wenn er seinen Augen noch trauen konnte, dann standen die Zeiger exakt auf Mitternacht. Dem Lande schlug die letzte Stunde.

III.
Samstag, 12. März 1938
    Bronstein nahm einen weiteren kräftigen Schluck und kämpfte sich dann, leicht taumelnd, zu seinem Radioapparat durch. Im zweiten Versuch gelang es ihm, diesen einzuschalten. „… hat Bundespräsident Miklas die ihm vorgeschlagene Ministerliste genehmigt. Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart. Vizekanzler Edmund Glaise-Horstenau …“
    Bronstein verzichtete darauf, sich nachzuschenken, er bediente sich nun direkt an der Flasche, während die Radiostimme einen bekannten Nazi-Namen nach dem anderen verlautbarte. Hugo Jury, Anton Reinthaller, Ernst Kaltenbrunner. Gegen all diese Leute hatte die Polizei noch bis vor wenigen Tagen ermittelt. Nun waren sie Minister. Unwillkürlich musste Bronstein, nachdem ihm ein Rülpser ausgekommen war, lachen. Theoretisch war nun der sattsam berüchtigte und gerichtsnotorisch mehr als bekannte Ernst Kaltenbrunner sein neuer oberster Vorgesetzter. „Der Kaltenbrunner“, lallte Bronstein und lächelte still in sich hinein. Der zählte schon seit 1930 zu den Spitzen der gefürchteten SS und hatte sich am Juliputsch gegen Dollfuß beteiligt. Wegen Hochverrats hatte er zwei Jahre im Gefängnis gesessen,
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