Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zoë

Titel: Zoë
Autoren: C Carmichael
Vom Netzwerk:
der Kater nahm es die Umgebung in sich auf: den auffrischenden Wind, die dichter werdenden Wolken, einen neuen Geruch in der Luft. Äußerlich war ihm kaum anzumerken, dass es diese Dinge zur Kenntnis nahm, doch dem Kater entging es nicht: das Beben eines Nasenflügels, das Zucken eines Ohrs, eine leichte Bewegung der weit offenen Augen. Herrenlos schien das Mädchen dem Kater, so als wäre es allein auf der Welt, gerade so wie er selbst. Es gefiel ihm, wie das Mädchen den Mann zwar im Auge behielt, gleichzeitig aber Abstand wahrte. Wie sie das macht, dachte er, wie katzenhaft!
    Schwitzend und ächzend verschwand der Mann im Haus. Bald darauf drang aus den offen stehenden Fenstern im oberen Stock ein Schlagen und Klopfen, ein Surren und Sirren und störte die Stille des Tages. Der Mann schritt hinter den Fenstern auf und ab, schnaufend und keuchend, fluchend, lange Holzstücke auf der Schulter. Es schien, als würde er mitten im Haus einen ganzen Wald fällen.
    Alles in Ordnung, Onkel Henry?, rief das Mädchen hinauf. Soll ich den Rettungswagen rufen?
    Alles okay, antwortete der Mann kurz angebunden. Ein einziger Schrotthaufen, dieser alte Kasten. Kaum was für einen Mann, geschweige denn für ein Kind!
    Ich könnte dir helfen, wenn du willst. Ich versteh was vom Reparieren.
    Red kein dummes Zeug, rief der Mann von oben und machte sich wieder an die Arbeit.
    Das Mädchen stampfte durch die Wiese, riss mit beiden Fäusten Wildblumen ab und schimpfte vor sich hin: So ein Blödmann! Fast zwölf bin ich, und immer noch muss ich mich mit Erwachsenen herumärgern, die zu dumm sind zu begreifen, dass ich alleine klarkomme! Mit einer verrückten Mama und ohne Papa hat es schließlich auch gut geklappt, und den da oben brauch ich nun wirklich nicht!
    Mit allen Poren nahm der Kater die Bedeutung dieser Worte auf und folgte dem Mädchen zurück über die Wiese, so wie ein Durstiger vom Wasser angezogen wird. Der Wind frischte auf und wehte ihr die Haare vors mürrische Gesicht. Sie rannte mit großen Schritten die kleine Steigung hinauf und dann den Abhang hinunter in den Wald, doch als sie in der kleinen Einfriedung stand, wurde sie still und ernst. Die Blumen, die sie mit der einen Hand umklammert hatte, legte sie auf dem Erdhügel ab, die anderen lehnte sie an einen gemeißelten Stein daneben.
    Hey, Daddy, sagte sie zu dem Stein. Schade, dass wir uns nie kennengelernt haben. Und zu der frisch aufgehäuften Erde sagte sie: Tschüss, Mama. Du hast deinen Willen bekommen.
    Die Luft war schwer und kühl und roch nach Regen. Windböen trieben die Baumspitzen hin und her, Donner grollte, Blitze zuckten über den Himmel. Ohne Angst streifte das Mädchen weiter über die offene Wiese und warf jedem der Ungetüme, die der Mann gemacht hatte, einen finsteren Blick zu. Der Kater folgte heimlich. Als das Mädchen nahe beim Haus war, hob es die Nase, als hätte es den Geruch des Katers aufgefangen. Sie richtete den Blick genau auf sein Versteck, dann wandte sie sich plötzlich ab und rannte ins Haus. Das Fliegengitter knallte hinter ihr ins Schloss, und im selben Moment setzte ein Platzregen ein.
     

1
    Von einem Onkel, der Herzchirurg ist, hatte ich mir eigentlich mehr erhofft. Bei so einem Beruf sollte man doch meinen, derjenige hätte auch selbst so was wie ein Herz.
    Aber wie üblich schob ich den Einkaufswagen allein durch die Gänge und nahm, was ich brauchte, aus den Regalen. Dieser neue Erwachsene in meinem Leben war genauso nutzlos wie alle anderen vor ihm. Negative Hilfe , wie Mamas Freund Manny das nannte. Negativ heißt weniger als null. Kein Problem. Einkaufen und ich, wir sind alte Freunde, genauso wie Kloputzen, Staubsaugen, Waschen.
    Besagter Erwachsener – mein Onkel Henry, von dem bis letzten Montag noch nie die Rede gewesen war – trottete mürrisch hinter mir her, brummte irgendwas in seinen Bart und hatte anscheinend keine Ahnung, was er eigentlich machen sollte. Mal blieb er fünf oder sechs Schritte zurück, mal war er mir so dicht auf den Fersen, dass ich seinen Atem im Nacken spürte, wohl für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich ihn für irgendwas brauchen sollte. Ich hab mich gefragt, wieso er mich überhaupt zu sich nehmen wollte.
    Zuerst dachte ich, das sei einfach ein Akt der Nächstenliebe gewesen, mich zu adoptieren, wo sie mich doch fast schon ins Waisenhaus gesteckt hatten; und es war ja auch nett von ihm, Mama zu beerdigen, schließlich war sie nicht mal mit ihm verwandt. Ich meine, davon träumt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher