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Zoë

Titel: Zoë
Autoren: C Carmichael
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mein Geld besser zu verstecken. »Ich hab immer für mich selbst bezahlt, keine Sorge.«
    Henry starrte mich an, als versuchte er erfolglos dahinterzukommen, wie ich ticke. »Du hast gesagt, diese Fünfzigdollar-Katze sei ein Kater. Woher willst du das wissen?«
    »Doppelt oder nichts?«
    Er ließ nicht locker. »Woher?«
    »Dafür muss man nicht nah rangehen. An einen Mann oder eine Frau muss man ja auch nicht erst nah rangehen, um zu wissen, was sie sind.«
    »Da hab ich mich gelegentlich schon getäuscht.« Er zog die Augenbrauen hoch und machte ein Du-glaubst-nicht-was ich-schon-alles-gesehen-habe-Gesicht. Ich musste kichern.
    Inzwischen waren andere Kunden auf unsere Unterhaltung aufmerksam geworden. Am Ende des Gangs hatte sich eine regelrechte Menschenansammlung gebildet. Sie verrenkten sich die Hälse, um an den Konserven vorbeischauen zu können, und flüsterten miteinander. Den mitleidigen Blick, der mir galt, kannte ich nur zu gut, aber was sie von Henry halten sollten, wussten sie anscheinend überhaupt nicht.
    »Wieso glotzen die so?«, flüsterte ich.
    »Typisch Kleinstadt«, sagte Henry. »Normalerweise erledigt Fred die Einkäufe.«
    »Wer ist Fred?«
    »Morgen lernst du ihn kennen. Er hilft mir ein bisschen mit allem, was so rund ums Haus anfällt.«
    Ich drehte mich zu den Leuten am Ende des Gangs um und rief: »Machen Sie sich keine Sorgen, tagsüber ist er völlig harmlos.«
    Zum ersten Mal, seit ich Henry Royster kannte, lächelte er, undich sah, dass er zwischen den oberen Schneidezähnen eine Lücke hatte, ganz genau wie ich.
    »Na so was«, sagte ich und starrte ihn an. »Wir sind tatsächlich verwandt.«
    Die anderen Kunden schauten weg oder gingen weiter, mit eingekniffenem Schwanz sozusagen, nur eine alte Dame in einem schwarz-weiß gestreiften Kleid, das wie ein Stinktierfell aussah, rührte sich nicht vom Fleck.
    Henry fluchte leise, jetzt war er wieder völlig ernst.
    Ich wendete den Einkaufswagen und marschierte in Richtung Waschmittel. Henry blieb mir auf den Fersen. »Extra stark«, sagte ich, mit Blick auf seine versifften Jeans.
    Er griff aufs Geratewohl nach einer orangeroten Plastikflasche auf dem mittleren Bord. »Die machen Tierversuche. Nimm die blaue«, flüsterte ich und zeigte auf eine Flasche auf einem der unteren Borde. Henry tat mir den Gefallen.
    »Du magst Tiere«, sagte er, und seine Stimme klang etwas wärmer.
    »Ihre Liebe ist ehrlicher«, sagte ich.
    »Als?«
    »Als die der Menschen. Das hat Mrs King immer gesagt.«
    »Mrs King?«
    »Das war die, von der ich Lesen und Schreiben gelernt habe und auch noch andere Sachen, aber irgendwann hat ihr Herz nicht mehr mitgemacht. Sie wohnte nebenan, neben Lester und mir.«
    »Lester?«
    »Lester hat sich um mich und Mama gekümmert, bevor Manny kam. Kommt alles demnächst in meinen Memoiren.«
    »Bist du nicht noch ein bisschen jung, um die Geschichte deines Lebens aufzuschreiben?«
    »Ich hab schon eine ganze Menge erlebt! Außerdem hab ich Charlies Mama dauernd irgendwelche Memoiren vorgelesen. Sie war blind. Von Mrs King habe ich zwar Lesen gelernt, aber durch Charlies Mama bin ich erst richtig gut darin geworden. Am liebsten mochte sie Memoiren und Geschichten über Mord und Totschlag. Ihr eigenes Leben sei stinklangweilig, sagte sie immer, sie lebte durch Leute in Büchern.«
    »Wer ist Charlie?«
    »Charlie hat bei anderen Leuten den Rasen gemäht. Er war Mamas Freund, der zwischen Manny und Harlan, dem vorletzten. Harlan hat Autos repariert und mir Fahren beigebracht – Knüppelschaltung, Lenkradschaltung und Automatik. Soll ich auf dem Rückweg fahren? Ich mach das gut.«
    »Der Vorletzte?«, fragte Henry.
    »Vor Ray. Ray war Mamas letzter Freund. Mein Aufpasser vor dir.«
    Als ich Ray erwähnte, guckte Henry finster. Viele Leute reagierten so, vor allem ich selbst. Ich war froh, dass Henry keine weiteren Fragen stellte.
    Wir verließen den Gang und sahen die anderen Kunden an der Kasse anstehen und schwätzen, allen voran die Stinktierfrau. Neugierig wie Nachbars Lumpi, dachte ich, die ist doch garantiert die Vorsitzende vom Schnüfflerverein.
    »Geht’s Ihnen gut, Herr Doktor?«, fragte sie munter, mit besonderer Betonung auf dem Wort Doktor. »Sie haben sich ja schon lange nicht mehr in der Stadt blicken lassen.« Sie musterte uns von Kopf bis Fuß, so wie eine Monstermutter ihre Kinder anguckt. »Unser herzliches Beileid, mein Lieber«, fuhr sie dann fort, wobei sie zwar nur noch mich missbilligend ansah, aber
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