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Zirkusluft

Zirkusluft

Titel: Zirkusluft
Autoren: Matthias P. Gibert
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halben Schritt zur Seite und sah ihn erwartungsfroh an. Franck griff in die Innentasche seiner Jacke, holte einen Schlüssel heraus, drehte sich um und ging auf die Batterie der Schließfächer hinter ihm zu. Dort öffnete er eine der Türen, nahm eine dunkelbraune Ledertasche, die er am Tag zuvor dort deponiert hatte, aus dem Fach, wischte mit einer geschickten Bewegung seine Fingerabdrücke vom Schlüssel und drehte sich wieder der Frau zu. Die ganze Aktion hatte keine 15 Sekunden gedauert.
    »Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?«
    »Hier im Bahnhof?«
    »Nein, wo denken Sie hin. Auf der anderen Seite des Platzes gibt es ein italienisches Eiscafé mit einem vorzüglichen Espresso.«
    Sie sah kurz auf die Uhr.
    »Warum nicht? Aber ich möchte bezahlen.«
    Eng umschlungen verließen sie den Bahnhof, schlenderten über den weitläufigen Vorplatz, überquerten die Wilhelmshöher Allee und betraten ein paar Augenblicke später das trotz der Jahreszeit gut besuchte Eiscafé.
    »Was werden Sie mit dem Inhalt der Lieferung machen?«, fragte die Frau, nachdem der Ober die beiden Espressi vor ihnen abgestellt und sich entfernt hatte. Franck sah sich um, doch keiner der anderen Gäste nahm Notiz von ihnen.
    »Was werden Sie mit dem vielen Geld anstellen, das Sie von mir dafür bekommen?«, fragte er leise zurück.
    Die Frau lachte auf.
    »Sie wissen genau, dass in meiner Branche die Gewinnspanne auf viele Hände verteilt wird. Und in diesem speziellen Fall sind es noch mehr Hände, die geschlossen werden wollen, und viele Augen, die zugedrückt werden müssen. Außerdem ist es nicht seriös, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.«
    »Ich hätte auch sagen können, dass Sie das gar nichts angeht, doch das klingt so unhöflich. Natürlich werde ich mit Ihnen nicht über die Verwendung meiner Bestellung sprechen, genauso wenig wie Sie mir die Herkunft preisgeben werden. Richtig?«
    »Absolut richtig«, bestätigte sie, griff in ihre Handtasche und kramte eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug heraus. Franck sah sie kurz an, griff sanft nach der Packung und schob sie zurück in die Tasche.
    »Besser nicht. Wir sind hier in einem Bundesland, in dem Rauchen in der Gastronomie schon länger nicht mehr gestattet ist. Und speziell wir beide sollten uns dezidiert daran halten.«
    Mit einem Kopfschütteln steckte sie das Feuerzeug ebenfalls zurück.
    »Ich kann mich noch immer nicht daran gewöhnen, dass in Ihrem Land diese Einschränkungen gelten. Egal, in welchen Zug oder in welches Flugzeug ich steige, überall leuchtet mir das Nichtraucherschild entgegen. Und in Restaurants oder Cafés wie diesem ist es absurd, das Rauchen zu verbieten.«
    Franck sah durch die Fensterfront nach draußen, wo gerade ein Polizeiwagen langsam um die Ecke bog und einen Moment später verschwunden war.
    »Des einen Glück, des anderen Pech«, erwiderte er charmant und trank seinen Kaffee.
    »So kann nur ein Nichtraucher sprechen.«
    »Das stimmt.«
    Sie stand auf, warf einen Fünfeuroschein auf den Tisch und griff nach der Ledertasche, die er eine Viertelstunde zuvor aus dem Schließfach genommen hatte.
    »Nachzählen werde ich zu Hause. Aber ich bin sicher, dass ich Ihnen vertrauen kann.«
    Er nickte.
    »Und jetzt dürfen Sie mich zu meinem Zug bringen und in genau einer Woche wieder am Bahnsteig auf mich warten, um Ihre Lieferung in Empfang zu nehmen.«

     
    Der ICE nach Berlin Ostbahnhof lief planmäßig ein. Franck nahm die Frau noch einmal in den Arm, küsste sie und half ihr beim Einsteigen. Kurz bevor sich die Türen schlossen, beugte sie sich noch einmal zu ihm hinab, griff nach seinem Hals und zog ihn zu sich. Als ihr Mund direkt über seinem Ohr war, flüsterte sie einen letzten Satz.
    »Wenn Sie noch einmal meinen Hintern anfassen, bringe ich Sie um.« Dabei grub sie ihre Zähne in sein Ohrläppchen.
    »Haben Sie das verstanden?«
    Er löste sich aus ihrer Umklammerung und trat einen halben Schritt zurück. Mit einem schnellen Blick nach links und rechts vergewisserte er sich, dass außer der Zugbegleiterin am anderen Ende des ICE niemand in ihrer Nähe war.
    »Ich werde es mir merken«, antwortete er höflich.
    »Aber nehmen Sie sich bitte nicht zu viel vor. Und nun wünsche ich Ihnen eine gute Reise in die kalte Ukraina , Tatjana Medwedewa .«
    Mit einem Schlag wich alles Blut aus ihrem Gesicht. Sie sah ihn fassungslos an.
    »Woher…«
    Der Rest ihrer Frage wurde vom Geräusch der schließenden Tür geschluckt.
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