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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
Autoren: Martin Clauß
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nun plötzlich als Wahrheit verkauft, und die Menschen in ihrer Umgebung diskutierten bereits Hintergründe und Konsequenzen, ehe sie selbst sich mit dieser Veränderung arrangiert hatte.
    „Was ist, wenn ich Falkengrund verlasse, aus freien Stücken?“ Sie hatte es am späten Abend gesagt, als alle anderen Argumente bereits mehrmals hin und her über den Tisch gewandert waren und nichts mehr blieb als Resignation oder Trotz.
    „Das tust du nicht“, hatte Margarete flüsternd geantwortet.
    Sie hatte es wohl gut gemeint, aber in Wirklichkeit verletzte sie die Studentin damit mehr, als Madoka oder die Gunkel es jemals vermocht hätten. Sie nahm ihr damit jede Hoffnung. Weil sie recht hatte.
    Es passte tatsächlich nicht zu Melanie, einfach wegzurennen. Sie, die sie an die drei Gs glaubte, an Gott, das Gute und die Gerechtigkeit, würde das Handtuch schon nicht werfen. Sie würde kämpfen und weiterhin positiv denken, auch wenn sie auf verlorenem Posten stand. Vielleicht sahen deshalb alle so aufgeregt aus wie bei der Premiere eines neues Films. Sie wollten Zeuge werden, wie Melanie um sich schlug, Melanie, die nie aufgab, Melanie, die immer einen Ausweg sah. Vielleicht hassten diese brütenden Kreaturen sie ja alle, weil sie ihnen zu „gut drauf“ war.
    Darüber hatte sie nie nachgedacht …
    Nun war es Morgen, eine schlaflose Nacht lag hinter ihr, alle waren gekommen.
    Werner sagte etwas, was niemand hören konnte. Traude Gunkel erhob sich zackig, fuhr mit der hageren Hand waagrecht durch die Luft, als würde sie den Studenten damit die Kehle durchschneiden. Stille senkte sich über den großen Seminarraum, und Werner begann von neuem. Seine Stimme war doppelt belegt und quietschte wie ein Frosch im Schnabel des Storchs.
    „Der Unfall, bei dem du einige Minuten … klinisch tot warst, hat sich also unten auf der Landstraße ereignet.“ Sie hatten das gestern schon erörtert, aber jetzt, wo alle anwesend waren, mussten sie es offenbar noch einmal durchkauen.
    Melanie antwortete leise und so gleichgültig wie möglich: „Die Einzelheiten der Anklage verliest gewöhnlich der Staatsanwalt.“
    Unter den Studenten keimte verhaltenes Lachen auf, doch Werner sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. „Niemand klagt dich an“, warf Margarete ein. „Wir wollen nur die Wahrheit finden.“
    „Das sagten die Inquisitoren im Mittelalter auch. Außerdem kennt Madoka die Wahrheit besser als ich. Alles, was ich sage, wird sie anschließend widerlegen. Sie ist einsame Spitze in solchen Dingen.“
    Traude Gunkel, die sich eben erst gesetzt hatte, sprang erneut auf. War es eine Täuschung, oder hatte sie ihr graues Haar heute besonders streng nach hinten gebunden? Ihre Haut war am Haaransatz gerötet, so sehr zerrte ihr Knoten daran. Wie schaffte sie es, dennoch so viele Falten zu haben? „Dieses Verhalten ist unduldbar!“, rief sie.
    „Melanie“, meinte Margarete. Sie versuchte offenbar, versöhnlich zu klingen, was ihr durchaus gelungen wäre, wenn nicht so eine merkwürdige Angst in ihren Worten mitgeklungen hätte. „Beruhige dich. Du machst es schlimmer, als es ist. Wir wollen deine Version der Geschichte hören. Falls einige von uns irgendeine Art von Schuld bei dir sehen sollten, wirst du diese Bedenken zerstreuen können, da bin ich ganz sicher.“
    Melanie schwieg eine Weile. Dann stand sie auf, den Kopf gesenkt. Ihre Schultern hingen schlaff hinab.
    Alle hielten die Luft an. Die Gunkel setzte sich wieder.
    Melanie sprach langsam, jedes Wort abwägend, während ihre Hände neben ihrem Körper pendelten und nervös mit dem Gürtel ihrer Hose spielten. „Nach dem Unfall hatte ich einen Traum. Ich – oder meine Seele – lief vom Unfallort weg, von der Straße hinauf zum Schloss. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals zuvor auf Falkengrund war, aber das Gebäude sah ganz genau so aus, wie ich es später in der Realität sah. Es war eine merkwürdige Atmosphäre, alles voller … Elektrizität, starke Kontraste, ein Rauschen im Hintergrund und ein Knistern, wenn man etwas berührte. Ich akzeptierte das. Ich dachte, dass das Jenseits eben so ist.“
    „Es gibt nicht den entferntesten Grund anzunehmen, dass das Jenseits rauscht und knistert“, sagte Traude Gunkel in die sich anschließende lange Pause hinein. Ihre Bemerkung war diesmal kein Angriff auf Melanie, sondern lediglich eine nüchterne (und völlig unpassende) Information von einer Koryphäe auf diesem Gebiet. „Unter allen
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