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Zerrissen

Zerrissen

Titel: Zerrissen
Autoren: Elena Eckert
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dass ich nichts dafür kann. Und er hat diese Augen … diesen Blick!
    „Atmen Sie einmal tief durch, Frau Kappler.“, redet die Polizistin auf mich ein.
    Man sieht ihr an, dass sie sich wieder gefangen hat und die Situation in Gänze begreift.
    „Ihnen wird in der Klinik geholfen. Wenn sie dorthin zurück gehen, wird man Ihre …“
    Nun sieht sie den Psychiater fragend an.
    Ich antworte selbst: „Dissoziative Störung.“
    „Meistens hochgradig dissoziative Amnesie.“, erläutert der Psychiater weiter.
    Immer noch stehe ich auf dem Bett. Ich merke, wie mein Arm anfängt zu zittern. Meine Hand ist weiterhin in derselben Position wie zuvor. Mittel- und Ringfinger pressen sich gegen meine Schläfe, der Daumen nach oben gespreizt. Vor meinen Augen taucht ein Mann auf. Ein Mann, der brillant schauspielert, mit diesem irren Blick und dabei wilde Sprünge auf einer Bühne vollführt, vollkommen in der eigenen Musik aufgehend. Ich sehe ihn vor mir, wie er selbst die Finger gegen seine Schläfe presst. Es ist typisch für Agonoize – es stellt auch ihr Bandlogo dar.
    Die Musik, die immer noch hörbar aus den Ohrstöpseln dringt, erinnert mich an so vieles. Vor allem aber daran, dass ich stark bin. Es klingt grotesk, sage ich mir immer wieder selbst, aber die Lieder haben mir zum großen Teil Mut gemacht. Vor allem habe ich so eine, meiner Meinung nach, gesunde Einstellung gegenüber Personen entwickelt, die mich schlecht behandeln.
    Außer gegenüber dieser einen Person.
    Langsam senke ich meinen Arm.
    „Okay, das ist doch schon einmal ein Schritt.“
    Ich weiß, dass mein Psychiater genau ahnt, was mir durch den Kopf geht. Mit einem einzigen Blick erkennt er meine tiefsten Gedanken und mittlerweile schockiert mich das noch nicht einmal mehr. Gerade jetzt bin ich sogar sehr froh darum.
    „Setz dich wieder hin. Dann kümmere ich mich um die Entlassungspapiere und dann gehen wir zurück. Du bist doch schon auf dem Weg der Besserung, du hast so lange durchgehalten …“
    Mit einem Mal wird die Tür aufgerissen und alle Beteiligten starren auf den Mann. Mir stockt der Atem.
    Es ist derjenige, der mich gefunden hat.
    „Herr Lasse!“, ruft die Polizistin und hält ihn gerade rechtzeitig auf, bevor er zu mir ans Bett stürmen kann.
    Wir starren uns gegenseitig an. Immer wieder versucht mein Psychiater mir vor die Augen zu treten, den Blickkontakt abzuschneiden, aber als er merkt, dass ich das nicht möchte, hält er inne.
    Angst kriecht durch meine Glieder. Ich sehe diese Augen. Er hat genau die gleichen Augen.
    „Dieses Miststück!“, ruft er nun und man merkt dem Mann an, wie aufgebracht er ist.
    „Zügeln Sie sich!“, wird er angeherrscht, aber es interessiert ihn nicht.
    Er zeigt mit dem Finger auf mich.
    „Wegen dir hab ich meinen Job verloren. Verstehst du das? Wegen deiner Lügen!“
    „Herr Lasse, Sie ist krank!“, versuchte die Polizistin zu ihm durchzudringen.
    Kurz zögert er. Dann braust er wieder auf.
    „Das ist mir egal! Ich stand kurz vor einem unbefristeten Vertrag und jetzt haben sie mir gekündigt, weil ich der Vergewaltigung beschuldigt werde! Das hat man davon, wenn man nur helfen will!“
    Ich weiß, dass er zu recht sauer ist. Ich weiß auch, dass diese Wut nicht auf meine Person selbst abzielt, sondern auf meine Lügen – auch wenn sie in diesem Moment keine Lügen waren. Ich war felsenfest davon überzeugt … und wenn ich ihn hier so sehe! Langsam versinke ich tiefer in mir, die hellgrünen Augen bohren durch mich hindurch und ich spüre, wie ich schlapp werde.
    „Sie wusste es nicht besser!“
    Genau so ist es! Ich möchte, dass er das versteht.
    Nun mischt sich auch mein Psychiater wieder ein.
    „Sie hat alte Erinnerungen mit Ihrem Anblick verknüpft und durch ihre Amnesie nicht mehr gewusst, dass das alles schon sehr viel länger her ist.“
    „Ich nenne das Schauspiel- und Lügensyndrom! Mir ist egal, was scheinbar alles passiert ist. Sie hat meinen Ruf, meine ganze Existenz zerstört!“
    „Kommen Sie jetzt mit!“
    Ich höre an der Stimme der Polizistin, wie wütend sie jetzt ist und so zerrt sie den Mann vor die Tür.
    Ich bleibe an seinen Augen kleben, bis er aus meinem Blickfeld verschwindet.
     
    Diese Augen erinnern mich an die meines Mannes, der mich wie sein Eigentum in unseren Keller einsperrte. Augen, die heller strahlen als das Licht am Firmament. Wenn sich dann aber der Trieb darunter mischt, Wut und Abneigung, werden sie so dunkel wie Kohle. Ein falscher Schein,
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