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Zerrissen

Zerrissen

Titel: Zerrissen
Autoren: Elena Eckert
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ich schaffe es einfach nicht, mich lange auf etwas zu konzentrieren. Meine Gedanken springen von einem Punkt zum anderen und lassen mich am Ende nur noch verwirrter zurück.
    Mit einem Finger drücke ich den Einschalt-Knopf und klicke mich dann zur Musikbibliothek durch. Langsam gehe ich die Namen durch. Vielleicht erkenne ich ja irgendetwas wieder, was mir helfen kann, zurück zu meiner Identität zu finden? Damit ich daran arbeiten kann und am Ende vielleicht als gesunder Mensch hier hinausgehe.
    Aber wie gesund kann man sein, nachdem man tagelang eingesperrt wurde? Geschändet, und weggeworfen wie ein altes Spielzeug. Ich bezweifle zwar, dass mein Leben wieder normal werden kann, aber ich möchte es zumindest versuchen. Ansonsten bring ich mich halt um … so viel kann mir am Leben dann auch nicht liegen, wenn mein Gehirn nicht mal Lust hat, sich an den eigenen Namen zu erinnern!
    Ich werde böse auf mich selbst, weil mir keiner der Bandnamen etwas sagt. Ich gehe den Inhalt von A bis Z durch und wieder zurück. Nichts. Nicht ein Funken. So ein begeisterter Musikfan scheine ich nicht zu sein.
     
    Mit einem Mal geht die Tür auf. Ich hebe den Kopf. Mehrere Menschen kommen in mein Zimmer. Die Polizistin von … wie lange war das schon wieder her?
    Ein Arzt und eine weitere fremde Person, die ich mit großen Augen anstarre. Ich kenne ihn. Natürlich! Zu gut … Er beginnt zu sprechen.
    „Ihr Name ist Antonina Kappler. Sie ist 28 Jahre alt und wohnt in Karlsruhe.“
    Ich will es nicht hören. Mit einem Mal sträubt sich mein ganzer Körper dagegen. Ich drücke die Stöpsel des MP3-Players in meine Ohren, wähle irgendeinen Song und drücke auf Play. Ich drehe auf. So weit auf, bis mir die Musik heftig in den Ohren dröhnt und ich überhaupt nichts anderes mehr wahrnehme.
    Sehr gut.
    Die elektronischen Beats hämmern sich in meine Gehörgänge, ich beginne mich automatisch ein wenig zu bewegen, den Kopf auf und ab zu wippen, und mich voll auf die Musik einzulassen. Es ist nicht schwer, denn die Kombination aus Bass, Synthesizer und vor allem die markante Stimme lenken mich völlig vom Geschehen um mich herum ab. Ich weiß nicht, worüber sie reden, aber scheinbar über mich.
    Über mich und eine Welt, gegen die sich mein ganzer Körper sträubt. Warum, weiß ich selbst nicht genau, doch während ich der verzerrten Stimme lausche, macht sich eine weitere Ahnung breit. Meine Lippen zittern.
    Natürlich. Alles klar.
    Ich werfe einen Blick auf den Bandnamen und stocke. Agonoize. Entfernt klingelt es in meinem Kopf. Ich sehe Bilder vor mir. Ich weiß wieder, warum ich überhaupt einmal auf diese Band aufmerksam wurde.
    Das alles überflutet mich und mit dieser Erinnerung kommt auch all das, was ich nie mehr wissen wollte. Weshalb ich überhaupt geflohen bin.
    Meine Lippen öffnen sich zu einem Schrei. Ich stehe auf, wanke auf der Matratze und forme meine Hand zu einer Pistole – presse sie gegen meinen Kopf und reiße die Augen auf, beginne tatsächlich zu schreien. Mit einiger Verzögerung. Ich reiße die Ohrstöpsel heraus.
    „Ich will das nicht hören!“, schreie ich und jede Person in diesem Raum starrt mich an.
    Ich merke, wie geschockt die Polizistin ist. Na, hat sie mitbekommen, was hier abgeht? Hat sie jetzt plötzlich kein Mitleid mehr?
    „Ich gehe nicht zurück!“
    Dabei sehe ich den Neuankömmling an, dessen Gesicht ich unter Tausenden erkennen würde.
    „Antonina …“, sagt er nun möglichst beruhigend, ich weiß, dass er versucht, die Eskalation zu vermeiden. Zu vermeiden, dass ich zusammen breche und wieder abhaue, so wie ich es immer tue, wenn es mir zu viel wird.
    Wenn die Erinnerungen mich übermannen.
    „Beruhige dich.“
    Wie oft hab ich das schon gehört? Was soll das? Meinen denn alle, ich kann auf Knopfdruck meine Gedanken abstellen? Das ich plötzlich begreife, was falsch läuft? Nein … wenn das nur so einfach wäre! Ich bin auch geschockt darüber, wie brillant mein Hirn alles verdrängt hat. Bis vor wenigen Minuten war ich völlig hilflos. Ich habe geglaubt, dass ich nie mehr zu meinem Ich finden würde. Das es aussichtlos ist.
    Jetzt weiß ich wieder wer ich bin. Was passiert ist. Und mir wird klar, was sie tatsächlich entdeckt haben.
    Keine Vergewaltigungsspuren. Kein Sperma. Nichts. Weil der Fremde mich nicht vergewaltigt hat. Wahrscheinlich war er weit davon entfernt, irgendetwas mit mir zu tun. Ich lag in diesem Gebüsch und er fand mich – und ich?
    Mir wird schlecht.
    Ich weiß,
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