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Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)

Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)

Titel: Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
Autoren: Sabina Schneider
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Reaktion, hatte sie festgestellt und versucht, ihr Verhalten anzupassen.
    An sich ein normaler Lernprozess, doch Serena verstand nicht, wieso Menschen auf die eine oder andere Weise agierten oder reagierten. Sie ahmte einfach nach, ohne die entsprechenden Empfindungen. Die Bedeutung von abstrakten „Gefühlen“ verstand sie nicht. Nach einiger Zeit des Beobachtens hatte sie gelernt, negative Gefühle von positiven zu unterscheiden. Mit sieben konnte sie den verschiedenen Gesichtszügen und den unterschiedlichen Klangspektren der Stimmen Gefühle zuordnen.
    FREUDE, GLÜCK und SPASS schienen immer von einem Spiel der Mundwinkel nach oben begleitet zu sein und erzeugten vor allem bei Frauen einen leichten Singsang in der Stimme. TRAUER, UNGLÜCK und LANGEWEILE dagegen wurden mit einer Bewegung der Mundwinkel nach unten unterstrichen, während die Stimme tief und flach klang. Andere Gefühle, wie BOSHEIT, bereiteten Serena jedoch immer noch Schwierigkeiten. Den Gesichtszügen der agierenden Person nach gehörte BOSHEIT zu den positiven Gefühlen. Die Stimme war zwar melodisch, hatte aber einen schweren Klang. Während die Reaktionen darauf eindeutig negativen Gefühlen zuzuordnen waren. Was Serena sehr verwirrte, da sie durch ihre Beobachtungen gelernt hatte, dass Menschen auf ihre Gegenüber meist mit den gleichen Gefühlen reagieren, die ihnen entgegengebracht wurden.
    Ein Lächeln wurde häufig mit einem Lächeln erwidert. Vergoss jemand Tränen, wurden die Menschen um ihn herum traurig. Konnte sie die Gefühle nach einer Weile auch unterscheiden, scheiterte Serena doch immer wieder bei der Bemühung, ihren Ursprung zu verstehen. Es war nicht so, dass Serena keine Gefühle hatte. Sie waren nur nicht immer greifbar, schienen sich hinter einem Vorhang zu verstecken und nur ab und an hervorzuschauen. Und glaubte sie, einem von ihnen näher gekommen zu sein, entzogen sie sich ihr wieder.
    Im Laufe der Jahre hatte sie aufgegeben, den Ursprung von Gefühlen verstehen zu wollen, und beachtete sie nicht weiter, wenn sie auftraten. Sie waren zwar lästig, da sie aber selten stark auftraten, fiel ihr das Ignorieren nicht schwer. Während sie abstrakte Gefühle nicht verstehen konnte, hatte sie ihre körperlichen Sinneswahrnehmungen nach jahrelangem Training so geschult, dass sie spürte, wenn sich ihr jemand näherte.
    Es waren die leisen Tapser der Schritte, das Atmen, die Veränderung im Wind und dem Luftgefüge, aber vor allem der Duft von Rosen, die Serena wahrnahm, als Laura sich ihr näherte. Ohne ein Wort der Begrüßung setzte sie sich neben Serena. Nach einer Weile fragte sie: „Wie geht es dir?“ Laura spielte mit einer Haarsträhne, zwirbelte sie auf, ließ sie fallen, nur um sie wieder auf ihrem Finger aufzuzwirbeln. War sie nervös?
    „Der Neue sitzt neben dir, nicht wahr?“, platzte sie heraus, wie sie es immer mit ihrer direkten Art tat. Ihr Blick war jedoch zu Serenas Erleichterung auf den Boden gerichtet. Auch wenn Serena meisterlich die wenigen Gefühle, die hier und da auftauchen, ignorieren konnte, gab es einen Menschen, der sie mit einem Blick, einer Handbewegung, einem Wort in ein für Serena unübliches Gefühlschaos stürzen konnte. Und dieser Mensch war kein anderer als Laura.
    Vor allem ihre Augen verwirrten und faszinierten Serena. Das hatten sie schon immer. In ihnen tanzte ein Feuer, das heller leuchtete als das in den Augen ihres Vaters, von dem Serena auch noch nach zehn Jahren fast jede Nacht träumte. Ihr Vater hatte Augen „Fenster des Geistes“ genannt. Wenn man sich die Mühe machte hineinzuschauen, könne man das Naturell eines jeden erkennen, hatte er gesagt. Tier, Vostoke, Airen, Senjyou, Troll, Gnom oder Ork: In den Augen sah man ihren Charakter, ihre Absicht und wenn man genau hinblickte, die Essenz, die das ganze Wesen ausmachte. Das Anstrengende für Serena war jedoch, dass sich die Augen mit den Gefühlen änderten und selten einen Ausdruck beibehielten. Sie glaubte den Worten ihres Vaters, konnte jedoch nichts von alledem erkennen.
    Plötzlich richtete sich Lauras Blick auf Serena. Sie sah ihr direkt in die Augen und hielt ihren Blick gefangen. Serena war wie hypnotisiert. Mit Mühe riss sie sich los und lenkte ihren Blick auf den Boden. Früher hatte sie Laura stunden- und tagelang in die Augen schauen können. In ihnen schienen alle Antworten auf ihre Fragen zu liegen. Fragen die sie noch nicht kannte und Fragen, die sie ihrem Vater nicht hatte stellen wollen, als sie noch
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