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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Autoren: Jack Finney
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Plätzen zu Wasser gelassen. Und Sie?«
    »Boot fünf. Nur einige Frauen waren darin, und da keine mehr in der Nähe waren, wurde den wenigen Männern, die dabeistanden, befohlen einzusteigen.«
    Seite an Seite betrachteten wir dann das lange grüne Band des Fahrwassers in seiner Endlosigkeit. Gelegentlich betraten Leute das Deck; wir hörten ihre Schritte auf den Planken hinter uns, ihre leisen Unterhaltungen. Wir hörten einen Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen; dann hatte uns das Kind wohl gesehen und kam die Treppe heraufgestapft. Bei dem Geräusch drehten wir uns um und erblickten ihr kleines Gesicht und die rote Strickmütze. Einen Moment lang starrte sie uns neugierig an, ihre Augen glänzten vor Übermut, dann rief sie: »Hallo!«, und freute sich über dieses Wagnis. Das Jotta Girl lächelte, rief eine Antwort, aber als sie sich wieder mir zuwandte, waren ihre Augen feucht. »O Gott, Si, was können wir denn nur tun?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Man kann sie nicht warnen«, und ich erzählte ihr von meiner Unterhaltung mit Captain Smith. Wir blickten wieder auf das Fahrwasser.
    Aber nicht lange. Sie wandte sich plötzlich von der Reling ab, hin zur Treppe zum Hauptdeck, und ich folgte ihr. Einige Schritte über dieses untere Deck, dann die Treppe hoch zum Bootsdeck. Ich trottete ihr hinterher und fragte mich, was sie vorhatte. Über das Deck, dann hatte ich sie eingeholt und sah sie an. Ihr Gesichtsausdruck war entschlossen, doch sie wollte mir nicht in die Augen schauen – keine Erklärung.
    An den Rettungsbooten und ihren Kränen vorbei – sie waren groß, wirklich groß, wenn man so nah vor ihnen stand. Dann löste Jot den Schal von ihrem Hals, einen lavendelfarbenen, hauchdünnen Stoff, und hielt ihn lose zwischen den Händen. Wir gingen mit schnellen Schritten die ganze Backbordseite des Schiffes entlang.
    Am Ende des Decks, als es nicht mehr weiterging, blieb sie neben der Schiffsbrücke stehen – ein langer, enger und geschlossener Raum, der die gesamte Breite des Schiffes einnahm. Eine Tür stand offen, und wir sahen die vier Schiffsoffiziere, die Tag und Nacht Dienst hatten, darunter den Captain. Sie sagten nichts und schauten aus den hohen Glasfestern auf die weite See hinaus. Sie konnten uns dort, wo wir standen, nicht sehen – nur der Steuermann war dazu in der Lage. Er warf uns, an gelegentliche neugierige Passagiere gewöhnt, einen Blick zu, nur kurz, nur einen Moment. Aber er hatte das Jotta Girl gesehen und ihr Lächeln, ihr schönstes Lächeln; und er, nach einem schnellen Blick auf den Kompass, lächelte zurück; er konnte nicht anders.
    Nun lächelte das Jotta Girl noch mehr, ein wunderbares, ein unnachahmliches Lächeln, und ging auf den Steuermann zu, hob ihre Arme, als wollte sie ihm den Schal zeigen, der zwischen ihren Händen hin und her wehte. Sie blieb vor ihm stehen und legte sanft den Schal um sein Gesicht, zog ihn fest zusammen und warf dann die Enden über die weiße Mütze. Der Schal lag auf seinem Gesicht, er hob die Hände, um ihn zu entfernen, bekam aber das dünne Material nicht ganz zu fassen; so musste er beide Hände zu Hilfe nehmen, um sich wieder zu befreien. Das Steuerrad machte eine Vierteldrehung, dann – den Schal nun vom Gesicht gezogen – ergriff er es wieder, warf einen kurzen Blick auf den Kompass und korrigierte den Kurs. Dann – wir standen nun wieder draußen vor der Tür – schaute er uns nach, das Jotta Girl aber lächelte ihn freundlich an, warf ihm eine Kusshand zu. Er musste erneut lächeln und schüttelte den Kopf.
    Ein, zwei Schritte gingen wir, dann begannen wir zu laufen – rasten über die Backbordseite zurück, wieder vorbei an den Rettungsbooten, die kleine Treppe hinab, über das offene Deck und hinauf auf unser kleines Achterdeck am Heck. Und dort lag er – deutlich sichtbar im Wasser, wenn auch bereits weit hinter uns – der Schnörkel in der Spur des langen grünen Fahrwassers, der uns zeigte, dass das Jotta Girl ein wenig den Kurs der Titanic geändert hatte.
    Nicht viel, aber viel war auch nicht nötig; nur ein klein wenig – einige wenige Zentimeter genügten –, aber dies machte den Unterschied aus, ob das Schiff auf dem unter dem Wasser liegenden Eissporn auflief, der seinen Rumpf aufriss und es untergehen ließ … oder gefahrlos darüber hinwegglitt. Das Jotta Girl hatte diesen kleinen Unterschied bewirkt, und ich – ich konnte nicht anders –, ich packte und küsste sie in einem Anfall von Freude
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