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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Autoren: Jack Finney
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meldeten Eisfelder, einige frei treibende Spitzen und einige Eisberge, zwischen einundvierzigster und fünfzigster nördlicher Breite und neunundvierzigster und fünfzigster westlicher Länge. Werden weitere Meldungen bekommen, wenn wir uns nähern, Sir.«
    Und dieser beeindruckende, angenehme Captain mit dem sauber gestutzten Bart lächelte. »Wir sind also ausreichend vorgewarnt, Sir«, sagte Captain Smith, »aber ich danke Ihnen« – er berührte mich erneut leicht an der Schulter. »Kein Grund zur Sorge.« Und sie setzten ihren Weg fort.
    So … und nun? Was sonst hätte er antworten sollen? Und nun? Nun gab es einfach nichts mehr, was ich noch tun konnte. Außer zu warten. Da ich wusste, was ich wusste, war ich auch nicht mehr in der Lage, mit anderen Passagieren zu reden oder ihnen näher zu kommen. An meinem mir zugewiesenen Platz im Speisesaal saß ich neben einem älteren Ehepaar – der Mann war vor Kurzem in Pension gegangen – und einem Vierzigjährigen, alle Engländer. Ich konnte mit ihnen keine lockere Konversation mehr führen, bei der sie lachten und ich mich die ganze Zeit fragte: Was wird aus euch nächste Nacht werden?
    Ich musste Zuflucht finden vor den Menschen, deren Schuhe – geradezu zwanghaft starrte ich sie an – die nächsten Jahrzehnte auf dem Meeresgrund liegen, deren Kleidung und Körper sich in nichts auflösen würden. Am Sonntag Nachmittag streifte ich ruhelos umher und fand Zuflucht am äußersten Zipfel des Hecks, das noch über dem großen Ruderblatt in die See hinausragte. Ein abgetrenntes kleines Achterdeck, das durch eine kurze Treppenflucht vom Hauptdeck B zu erreichen war. An diesem verlassenen, öden Ort, der voll war mit Schiffswerkzeugen – Winden, Kränen, Ankerwinden –, stand ich nun und versuchte, mich von den Schrecken, die eintreten würden, abzulenken. Ich nahm mein altes Spiel wieder auf und betrachtete das grünlich weiße Fahrwasser, das sich endlos hinter uns herzog.
    Der Geist wird freier, wenn man auf das sich ständig verändernde und doch immer gleiche Kielwasser blickt. Dort unten sprudelten Wasserblasen, bildeten eine breite, grüne Wasserstraße, durch die wir soeben gekommen waren. Die Arme auf der Reling, die Hände verschränkt, beobachtete ich den Wasserstrudel, den die Schiffsschraube in der Tiefe aufwarf. Sah einen Vogel auftauchen, hier, weit draußen auf dem Meer. Eine Seeschwalbe, so nennt man sie doch? Sie folgte uns, reglos die Schwingen gespreizt, segelte sie auf dem unsichtbaren Strom warmer Luft, der über uns aufstieg. Plötzlich, die Flügel angezogen, stieß sie herab und tauchte in das grüne Fahrwasser ein. Ich glaube, diese Vögel schlafen auf dem Wasser.
    Und hier machte ich mich frei. Das Deck unter meinen Füßen und die Reling unter meinen Armen waren zwar massiv, wirklich, und die Menschen im Innern des Schiffes lebten wahrhaftig. Aber für mich, und nur für mich, war dies alles schließlich ferne Vergangenheit. Meine eigene Wirklichkeit war weit, weit weg; und was heute Nacht hier auf dem Atlantik geschehen sollte, war eine alte, alte Geschichte aus einer längst vergangenen Zeit, die ich in gar keiner Weise beeinflussen konnte.
    Doch mit dieser Erkenntnis konnte ich nichts anfangen. Hinter mir, vom Deck des Schiffes, dessen Schicksal ich mich entziehen wollte, hörte ich Schritte näher kommen, dann das Murmeln einer männlichen Stimme, die Antwort einer Frau. Alles wurde wieder wirklich, wurde zum Hier und Jetzt, und ich versank erneut in äußerster Hilflosigkeit.
    Jemand tauchte neben mir auf, Unterarme, von Ärmeln bedeckt, glitten auf der Reling neben mir ins Blickfeld, die Hände verschränkten sich, und ich wusste, wem sie gehörten; des plötzlichen Glücksgefühls, das mich überkam, konnte ich mich kaum erwehren. Und ich – ich konnte nichts dagegen tun – wandte mich ihr zu, umfasste das Jotta Girl und küsste sie, lange und fest und wollte nicht mehr aufhören. Tat es dann aber dennoch, ja, Julia, ich tat es. Und hier draußen auf dem grauen Atlantik lächelten wir uns an, und ich sagte: »Dr. Danziger lässt einen niemals allein!«
    »Er musste sicher sein können. Also saß ich in der Lounge und beobachtete Sie und Archie von einem Sessel hinter einer Säule aus, bis ich Bescheid wusste. Es ist vorbei, Si; Archie wird seine Meinung nicht ändern.«
    »Ich weiß, Jot. Was werden Sie tun, wenn es so weit ist?«
    »Dr. Danziger sagte, ich soll zu Boot achtzehn gehen. Es würde mit genügend freien
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