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Zeitreisende sterben nie

Zeitreisende sterben nie

Titel: Zeitreisende sterben nie
Autoren: Jack McDevitt
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nonverbale Kommunikation der Anwesenden erfassen können. »Wann?«, flüsterte sie, als sie bereits beinahe eine Stunde dort waren. »Wann passiert es?«
    »Bei Sonnenuntergang, glaube ich.«
    Ein Laut entfloh tief aus ihrer Kehle.
    »Warum fürchten die Menschen den Tod?«, fragte Sokrates.
    »Weil«, antwortete Kriton, »sie glauben, er wäre das Ende der Existenz.«
    Insgesamt waren beinahe zwanzig Leute anwesend, die meisten jung, wenn auch ein paar Personen mittleren und fortgeschrittenen Alters darunter waren. Ein Mann trug eine Kapuze und einen von grauen Strähnen durchzogenen Bart. Der Blick seiner aufmerksamen, dunklen Augen ruhte unentwegt teilnahmsvoll auf Sokrates. Dann und wann nickte er, wenn der große Philosoph wieder einen besonders herausragenden Punkt hatte verständlich machen können. Etwas an seiner Haltung erinnerte Dave an einen jungen Moses.
    »Und fürchten alle Menschen den Tod?«, fragte der Philosoph.
    »Die meisten gewiss, Sokrates«, sagte ein Junge, der nicht älter als achtzehn sein konnte.
    Sokrates wandte sich ihm zu. »Fürchten auch die Tapferen den Tod, Kebes?«
    Kebes dachte kurz nach. »Anders kann ich es mir nicht denken, Sokrates.«
    »Warum«, fragte Sokrates darauf, »fordern die Mutigen dann den Tod heraus? Liegt es vielleicht daran, dass sie etwas anderes noch mehr fürchten?«
    »Den Verlust ihrer Ehre«, sagte Kriton.
    »Also stehen wir vor dem Paradoxon, dass selbst die Tapferen von Furcht getrieben sind. Gibt es denn niemanden, der sich dem Tode mit einer Gleichmut stellen kann, die frei von Furcht ist?«
    Moses starrte Helen an. Dave rückte vorsichtshalber etwas näher an sie heran.
    »Unter allen Menschen«, erwiderte Kriton, »scheinst du der Einzige zu sein, der bei seinem Nahen keine Besorgnis zeigt.«
    Sokrates lächelte. »Unter allen Menschen«, sagte er, »kann nur der Philosoph dem Tode wahrhaft die Stirn bieten.
    Denn er weiß mit Gewissheit, dass die Seele in ein besseres Sein weiterziehen wird. Vorausgesetzt, er hat sein ganzes Leben der Suche nach Wahrheit und Tugend gewidmet und seiner Seele, welche seine göttliche Essenz ist, nicht gestattet, sich den Kümmernissen des Leibes hinzugeben. Denn wenn das geschieht, kleidet sich die Seele in leibliche Charakteristika, und kommt dann der Tod, so kann sie nicht mehr entfleu-chen. Das ist der Grund, warum des Nachts auf Friedhöfen keine Ruhe einkehrt.«
    »Wie können wir sicher sein«, fragte ein Mann in einer blauen Toga, »dass die Seele, so sie das Trauma des Todes überdauert, nicht im ersten starken Wind davongeweht wird?«
    Die Frage war nicht ernst gemeint, aber Sokrates sah, dass sie Wirkung auf andere erzielte, also antwortete er leichthin mit der Bemerkung, es sei dann wohl gescheit, an einem windstillen Tag zu sterben, ehe er eine gesetzte Antwort folgen ließ. Er stellte Fragen, mit deren Hilfe er seinen Schülern das Eingeständnis entlockte, dass die Seele nicht physisch sei und folglich kein Gemenge sein könne. »Ich glaube, wir müssen nicht befürchten, dass sie auseinanderfällt«, sagte er mit einem gewissen Vergnügen.
    Einer der Wärter lungerte während der ganzen Diskussion in der Nähe der Tür herum. Er wirkte besorgt, und einmal warnte er Sokrates davor, zu viel zu reden oder sich zu ereifern. »Gerätst du zu sehr in Wallung«, sagte er,
    »wird das Gift nicht wunschgemäß wirken.«
    »Das Risiko wollen wir nicht eingehen«, sagte Sokrates. Doch er sah den gepeinigten Ausdruck auf dem Gesicht des Kerkermeisters und schien, wie David dachte, seine Äußerung sogleich zu bedauern.
    Frauen brachten das Abendessen herbei, und einige von ihnen blieben, sodass es in dem Raum noch voller wurde.
    Erstaunlicherweise gab es keine verschlossenen Türen, und mit Ausnahme des unglücklichen Kerkermeisters waren auch keine Wärter zu sehen. Phaidon, der Erzähler aus Piatons Bericht, saß neben Dave und flüsterte ihm zu, die Mächtigen hofften von Herzen, Sokrates würde fliehen. »Davidius«, fügte er hinzu, »sie haben alles getan, um das hier zu verhindern. Es gibt sogar Gerüchte, sie hätten ihm Geld und freies Geleit geboten.«
    Sokrates sah, dass sie miteinander sprachen, und sagte: »Ist da etwas an meiner Argumentation, das euch nicht zufriedenstellt?«
    Dave hatte den Verlauf der Diskussion vorübergehend aus den Augen verloren, aber Phaidon sagte: »Ja, Sokrates.
    Doch es widerstrebt mir, dir zu widersprechen.«
    Sokrates bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Die
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