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Zeitreisende sterben nie

Zeitreisende sterben nie

Titel: Zeitreisende sterben nie
Autoren: Jack McDevitt
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Wahrheit ist, was sie ist. Sag mir, was dich stört, Phaidon.«
    Der Angesprochene zögerte, und Dave erkannte, dass er Kraft sammelte, um sich seiner Stimme sicher zu sein.
    »Dann lass mich fragen«, sagte Phaidon in neutralem Tonfall, »ob du in diesem Punkt wahrlich objektiv bist? Die Sonne ist nicht mehr weit vom Horizont entfernt, und sosehr es mich bekümmert, das zu sagen: Wäre ich an deiner Stelle, würde ich auch im Sinne der Unsterblichkeit argumentieren.«
    »Wärest du in seiner Position«, sagte Kriton lächelnd, »hättest du das erste Schiff nach Syrakus genommen.«
    Gelächter brach aus. Sokrates und Phaidon lachten so herzhaft wie alle anderen, und die Anspannung schien für den Augenblick gebrochen zu sein.
    Sokrates wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war. »Deine Frage ist natürlich berechtigt, Phaidon. Spreche ich die Wahrheit? Oder versuche ich nur, mir selbst etwas weiszumachen? Ich kann darauf nur sagen, dass es, sollten meine Argumente zutreffend sein, gut ist. Sollten sie aber falsch sein und der Tod tatsächlich die Auslöschung bedeuten, so wappnen sie mich dennoch für sein Herannahen. Und auch das ist gut.« Er wirkte vollkommen gelassen. »Sollte ich irren, so ist das ein Irrtum, der diesen Sonnenuntergang nicht überleben wird.«
    Simmias saß gleich rechts von Moses. »Ich für mein Teil bin überzeugt«, sagte er, »dass deine Argumente jeder Anfechtung trotzen. Und es ist mir ein Trost zu glauben, dass es in unserer Macht steht, diese Gemeinschaft an einem von Gott erwählten Ort wieder zusammenzuführen.«
    »Ja«, meldete sich Kriton zu Wort, »dem stimme ich zu. Und, Sokrates, wir können uns glücklich schätzen, dass du hier bist, um uns dies alles darzulegen.«
    »Jeder, der sich über diesen Punkt Gedanken gemacht hat«, sagte Sokrates, »sollte imstande sein, wenn schon nicht die Wahrheit, so doch einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Und ich möchte hinzufügen, wie viel Wahres unsere Spekulationen auch immer enthalten, die wichtige Lektion, die uns diese Stunde lehrt, ist, dass das Leben, wie wir es kennen, nicht ewig währt. Lebt wahrhaftig.
    Genießt die Zeit, die euch gegeben ist, denn das Leben ist eine großartige Gabe.«
    Moses schien schwer an der Last der bevorstehenden Katastrophe zu tragen, dennoch sah er sich immer wieder zu Helen um. Und nun ergriff er zum ersten Mal das Wort. »Ich fürchte zutiefst, Sokrates, dass binnen weniger Stunden niemand mehr in Hellas sein wird oder irgendwo auf der Welt, der die Fähigkeit besitzt, diese Dinge verständlich zu machen.«
    »Das ist Shels Stimme«, keuchte Helen und verdrehte sich den Hals, um besser sehen zu können. Das Licht war nicht gut, und er blickte in die andere Richtung, sodass seine Züge hinter den Falten seiner Kapuze verborgen waren. Dann aber drehte er sich um, sah Helen direkt an und lächelte traurig. Seine Lippen formten in englischer Sprache: Hallo, Helen.
    Sie stand auf.
    In diesem Moment tauchte der Kerkermeister mit dem vergifteten Trunk auf, und bei seinem Anblick und dem des silbernen Gefäßes erstarrte jeder im Raum. »Ich hoffe, du verstehst«, sagte er, »dass das nicht mein Wunsch ist, Sokrates.«
    »Ich weiß das, Thereus«, sagte Sokrates. »Ich bin dir nicht böse.«
    »Man gibt immer mir die Schuld«, entgegnete Thereus.
    Niemand sagte ein Wort.
    Er stellte den Becher auf dem Tisch ab. »Die Zeit ist gekommen«, sagte er.
    Helens Beispiel folgend, erhoben sich einer nach dem anderen alle Anwesenden zögerlich von ihren Plätzen.
    Sokrates gab dem Kerkermeister eine Münze, drückte seine Hand und dankte ihm, ehe sein Blick über seine Freunde schweifte. »Die Welt ist ein heller Ort«, sagte er. »Aber vieles davon ist nur Illusion. Wenn wir zu lange hinsehen, wird sie uns blenden, wie uns die Sonne blendet, wenn wir zu lange in die Sonnenfinsternis blicken.
    Schaut nur mit eurem Geist.« Er ergriff den Becher. Mehrere der Anwesenden wollten zu ihm eilen, wurden aber von ihren Kameraden zurückgehalten. Im Hintergrund erklang ein Schluchzen.
    »Bleibt«, sagte eine strenge Frauenstimme. »Ihr habt ihn euer Leben lang respektiert. Nun tut es auch hier.«
    Er hob den Becher an die Lippen, und seine Hand zitterte. Dies war der einzige Moment, in dem die Fassade durchlässig wurde. Dank trank er und stellte den Becher zurück auf den Tisch. »Ich bin sicher, Simmias hat recht«, sagte er. »Wir werden uns eines Tages wieder zusammenfinden, wie alte Freunde es tun sollten,
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