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Zeitlose Zeit

Zeitlose Zeit

Titel: Zeitlose Zeit
Autoren: Philip K. Dick
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klappte zu.
Sie rieb sich die Augen und versuchte, wach zu werden. Sie fühlte sich steif und kalt. Sie stand fröstelnd auf und stellte sich vor den Ofen, um sich zu wärmen.
Sie kommen nicht zurück, dachte sie. Ragle jedenfalls nicht. Sonst würde Black warten.
Sammy rief in seinem Zimmer: »Mami! Mami!«
Sie Öffnete die Tür.
»Was ist denn?«
Sammy saß im Bett und fragte: »Wer war das am Telefon?«
»Niemand.« Sie trat ein und deckte ihn zu. »Schlaf wieder.«
»Ist Pa schon zu Hause?«
»Noch nicht.«
»Mensch«, sagte Sammy, legte sich zurück und schlief fast schon wieder. »Vielleicht haben sie was gestohlen ... die Stadt verlassen.«
Sie blieb im Zimmer, rauchte eine Zigarette und zwang sich wachzubleiben.
Ich glaube, sie kommen nicht zurück, dachte sie. Aber ich bleibe trotzdem auf. Für alle Fälle.
    »Was heißt, sie sind im Recht?« sagte Vic. »Du hältst es für richtig, Städte und Krankenhäuser und Kirchen zu bombardieren?« Ragle Gumm erinnerte sich an den Tag, als er das erstemal von den Mondkolonisten gehört hatte, damals schon ›Lunies‹ genannt. Sie hätten auf Truppen geschossen. Niemand war besonders verwundert gewesen. Die Lunies waren meist unzufriedene Leute, junge Paare, die noch keinen Halt gefunden hatten, ehrgeizige junge Männer und ihre Frauen, wenige mit Kindern, keiner mit Besitz oder Verantwortung. Seine erste Reaktion war gewesen, kämpfen zu wollen. Aber daran hinderte ihn sein Alter. Und er hatte etwas viel Wertvolleres zu bieten.
Man hatte ihn eingesetzt, die Raketenangriffe vorauszuberechnen, seine Diagramme und Tabellen anzulegen, seine statistischen Forschungen zu betreiben, er und sein Stab. Major Black war sein erster Mitarbeiter gewesen, ein begabter Mann, der unbedingt lernen wollte, wie man die Voraussagen berechnete. Im ersten Jahr war es gutgegangen, dann hatte ihn die Last der Verantwortung niedergedrückt. Das Gefühl, daß das Leben aller von ihm abhing. Und an diesem Punkt hatte das Militär beschlossen, ihn von der Erde fortzubringen. Ihn in ein Schiff zu setzen und in eines der Kurbäder auf der Venus zu bringen, wo hohe Regierungsbeamte sich erholten und wo sie viel Zeit vergeudeten. Das Klima auf der Venus – oder vielleicht die Mineralien im Wasser oder die Schwerkraft, niemand wußte es genau – war sehr wirksam gegen Krebs und Herzleiden.
Zum erstenmal in seinem Leben verließ er die Erde. Flog hinaus in den Weltraum, zwischen den Planeten. Frei von Schwerkraft. Die engste Bindung hatte aufgehört. Die Grundkraft, die das Universum zusammenhielt. Die einheitliche Feldtheorie Heisenbergs hatte alle Energie, alle Erscheinungen zu einem einzigen zusammengefügt. Als sein Schiff die Erde verließ, wechselte er von dieser Welt in eine andere, erlebte reine Freiheit.
Das beantwortete für ihn eine Frage, erfüllte ein Bedürfnis, dessen er nie gewahr geworden war. Ein tiefes, ruheloses Sehnen unter der Oberfläche, immer in ihm vorhanden, in seinem ganzen Leben, aber unausgedrückt. Das Bedürfnis, unterwegs zu sein. Weiterzuwandern.
Seine Vorfahren waren gewandert. Sie waren Nomaden, nicht Bauern, waren von Asien in den Westen gekommen. Am Mittelmeer hatten sie sich niedergelassen, weil sie den Rand der Welt erreicht hatten; es gab nichts mehr dahinter. Und dann, Jahrhunderte später, erfuhr man, daß es doch etwas gab. Länder jenseits des Meeres. Abgesehen von dem erfolglosen Abstecher nach Nordafrika waren sie nicht oft aufs Meer hinausgefahren. Dergleichen erschreckte sie. Sie wußten nicht, wohin sie mit ihren Booten fuhren, aber nach einer Weile hatten sie diese Wanderung vollendet, von einem Kontinent zum anderen. Und dort waren sie eine Weile geblieben, weil sie wieder den Rand der Welt erreicht hatten.
So eine Wanderung hat es noch nie gegeben. Für keine Gattung, keine Rasse. Von einem Planeten zum anderen. Wie konnte das übertroffen werden? Mit diesen Schiffen geschah der letzte Sprung. Jede Abart des Lebens wanderte, begab sich weiter. Es war ein universelles Bedürfnis, ein universelles Erlebnis. Aber diese Leute hatten das äußerste Stadium erreicht, was noch keiner anderen Gattung oder Rasse gelungen war.
Es hatte nichts zu tun mit Mineralien, Rohstoffen, wissenschaftlichen Messungen. Nicht einmal mit Erforschung oder Profit, Das waren Ausreden. Der eigentliche Grund lag außerhalb ihres Bewußtseins. Wenn man es von ihm verlangt hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen, das Bedürfnis auszudrücken, selbst während er es voll
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