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Zeitlose Zeit

Zeitlose Zeit

Titel: Zeitlose Zeit
Autoren: Philip K. Dick
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der Laden nicht; Sie arbeiten hier nur, wie wir anderen auch. Dafür gibt es weniger Arbeit.« Eine Kundin begann, Nahrungsmittel vor der Kasse abzuladen; Liz tippte die Beträge und redete über die Schulter weiter mit Vic. »Ich glaube auch nicht, daß es eine Wirtschaftskrise gibt; das ist nur Gerede von den Demokraten. Ich habe es satt, daß die Demokraten dauernd so tun, als bräche die Wirtschaft zusammen.«
»Sind Sie keine Demokratin?« fragte er. »Aus einem Südstaat?«
»Nicht mehr. Nicht, seit ich hier bin. Das ist ein republikanischer Staat, also bin ich Republikanerin.« Die Registrierkasse rasselte, und die Geldschublade sprang auf. Liz schob die Waren in einen Papiersack.
Die Schrift des ›American Diner Café‹ gegenüber erinnerte ihn an den Nachmittagskaffee. Vielleicht war jetzt die beste Zeit. Er sagte zu Liz: »Ich bin in ungefähr zehn Minuten wieder da. Können Sie die Stellung allein halten?«
»Oh, Scholli«, sagte Liz fröhlich und zählte Kleingeld hin. »Gehen Sie nur, damit ich später schnell weggehen und einkaufen kann. Gehen Sie nur.«
Er verließ das Geschäft, die Hände in den Taschen, und blieb am Randstein stehen, um eine Lücke im Verkehr abzuwarten. Er ging nie bis zum Übergang, sondern überquerte die Straße stets hier vor dem Café, selbst wenn er minutenlang am Randstein stehen und warten mußte. Das war Ehrensache, eine Frage der Männlichkeit.
    Er saß in der Nische vor seinem Kaffee und rührte zerstreut in der Tasse.
»Schwacher Tag«, sagte Jack Barnes, der Schuhverkäufer von ›Samuel’s Herrenkleidung‹, und brachte seine Tasse mit, um sich zu ihm zu setzen. Jack wirkte, wie immer, schlaff und welk, als habe er den ganzen Tag in Nylonhemd und -hose gedampft und geschwitzt. »Muß am Wetter liegen«, meinte er. »Ein paar schöne Frühlingstage, und alle kaufen Tennisschläger und Campingkocher.«
In Vics Tasche steckte die neueste Broschüre vom Buchklub. Er und Margo waren vor einigen Tagen eingetreten, als sie das Haus angezahlt hatten und in eine Gegend gezogen waren, wo man auf solche Dinge großen Wert legte. Er legte das Heft auf den Tisch und drehte es herum, damit Jack es lesen konnte. Der Schuhverkäufer zeigte kein Interesse.
»Treten Sie in einen Buchklub ein«, sagte Vic. »Trainieren Sie Ihren Verstand.«
»Ich lese Bücher«, sagte Jack.
»Ja. Die Taschenbücher aus ›Becker’s Drugstore‹.«
»Wissenschaft ist es, was das Land braucht, keine Romane«, sagte Jack. »Sie wissen ganz genau, daß die Buchklubs diese Sexromane über Kleinstädte verhökern, wo Sexualverbrechen verübt werden und der ganze Dreck an die Oberfläche kommt. Das nenne ich nicht der amerikanischen Wissenschaft helfen.«
»Der Klub hier hat auch Toynbees ›Geschichte‹ ausgeliefert«, sagte Vic. »Das könnten Sie wohl lesen.« Den Band hatte er als Treueprämie bekommen; er war zwar nicht ganz fertig geworden damit, begriff aber, daß es sich um ein bedeutendes literarisches und historisches Werk handelte, das in seiner Bibliothek zu haben sich lohnte. »Außerdem«, sagte er, »so schlecht manche Bücher auch sind, sie sind nicht so schlimm wie diese Teenager-Sexfilme.«
Jack las den Titel vom ›Buch des Monats‹ und bewegte dabei die Lippen.
»Ein historischer Roman«, sagte er. »Über den Süden. Bürgerkrieg. Das propagieren sie immer. Bekommen die alten Damen, die Mitglieder sind, nicht genug davon, wenn sie immer wieder dasselbe lesen?«
Vic hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich die Klubzeitschrift anzusehen.
»Ich nehme nicht immer, was sie vorschlagen«, erklärte er. Der Band diesmal hieß ›Onkel Toms Hütte‹. Von einem Verfasser, dessen Namen er noch nie gehört hatte: Harriet Beecher Stowe. Die Zeitschrift pries das Buch als kühne Bloßstellung des Sklavenhandels im Kentucky vor dem Bürgerkrieg. Ein aufrichtiges Dokument der scheußlichen, empörenden Praktiken, begangen an hilflosen Negermädchen.
»Mensch«, sagte Jack. »He, das wäre vielleicht etwas für mich.«
»Nach dem Waschzettel darf man nicht gehen«, sagte Vic. »Alles, was heute geschrieben wird, preisen die so an.«
»Stimmt«, sagte Jack. »Es gibt wirklich keine Prinzipien mehr auf der Welt. Denken Sie an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, und vergleichen Sie das mit jetzt. Was für ein Unterschied. Die Unehrlichkeit und Kriminalität, den Schmutz und Schund und das Rauschgift hat es nicht gegeben. Jugendbanden, das freie Leben und Wasserstoffbomben ... und die Preise steigen.
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