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Zeitlose Zeit

Zeitlose Zeit

Titel: Zeitlose Zeit
Autoren: Philip K. Dick
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nach.
»Die Frau beneide ich«, murmelte Margo. Der Tucker war ein so radikales Fahrzeug wie der VW und gleichzeitig sehr schön.
Aber er war natürlich zu groß, um praktisch zu sein. Immerhin ...
Vielleicht nächstes Jahr, dachte sie. Wenn es Zeit wird, den VW wegzugeben. Aber den gibt man nicht weg, den behält man ewig.
Wenigstens ist der Wiederverkaufswert hoch. Wir bekommen den Wert heraus. Der rote Tucker reihte sich in den Verkehr ein.
»Mensch!« sagte Sammy.
Sie sagte nichts.
    2
    An diesem Abend um halb acht Uhr schaute Ragle Gumm zum Wohnzimmerfenster hinaus und sah die Nachbarn, die Blacks, sich im Dunkeln den Weg entlangtasten, offenkundig zu einem Besuch unterwegs. Die Straßenlaterne hinter ihnen ließ den Umriß eines Gegenstands hervortreten, den Junie Black trug, eine Kiste oder Schachtel. Er stöhnte.
»Was ist los?« fragte Margo. Sie und Vic sahen sich in der anderen Ecke Sid Caesar im Fernsehen an.
»Besuch«, sagte Ragle und stand auf. In diesem Augenblick läutete es an der Tür. »Unsere Nachbarn. Wir können wohl nicht so tun, als wären wir nicht hier.«
»Vielleicht gehen sie wieder, wenn sie sehen, daß der Fernseher läuft«, meinte Vic.
Die Blacks, voller Ehrgeiz, die nächste Astgabelung im Baum der Gesellschaft zu erklimmen, gaben vor, das Fernsehen zu verabscheuen, und zwar alles, was dort geboten wurde, von den Clowns bis zu Beethovens ›Fidelio‹ in einer Aufführung der Wiener Staatsoper. Vic hatte einmal gesagt, wenn man in einem Werbespot das Wiedererscheinen Jesu ankündige, würden die Blacks damit nichts zu tun haben wollen. Ragle hatte darauf erwidert, wenn der Dritte Weltkrieg beginne und die H-Bomben fielen, würde die erste Warnung das CONELRAD Signal im Fernseher sein ... worauf die Blacks bestimmt mit Verachtung und Gleichgültigkeit reagieren würden. Das Gesetz des Überlebens, hatte Ragle gesagt. Diejenigen, die auf ein neues Stimulans nicht reagieren wollen, werden zugrunde gehen. Anpassen oder untergehen ... neue Version eines zeitlosen Gesetzes.
»Ich lasse sie herein«, sagte Margo. »Wenn keiner von euch sich rühren will.« Sie stand vom Sofa auf, eilte zur Haustür und öffnete sie. »Hallo!« hörte Ragle sie rufen. »Was ist das? Was ist es? Oh – das ist heiß.«
Bill Blacks jugendliche, selbstsichere Stimme: »Lasagne. Heißes Wasser aufsetzen ...«
»Ich mache Espresso«, sagte Junie und ging mit dem Karton italienischer Spezialitäten zur Küche.
Verdammt, dachte Ragle. Keine Arbeit mehr heute abend. Warum müssen sie immer gleich damit anrücken, wenn sie sich an eine neue Mode anhängen? Kennen die sonst niemanden?
Diese Woche war es Espresso. Die Mode der vergangenen Woche: Lasagne. Paßt jedenfalls zusammen. Wahrscheinlich schmeckt es sogar sehr gut ... obwohl er sich an den bitteren, starken italienischen Kaffee nicht gewöhnen konnte; er schmeckte für ihn verbrannt.
Bill Black tauchte auf und sagte freundlich: »Hallo, Ragle. Hallo, Vic.« Er trug die bei ihm übliche elegante Kleidung. Geknöpfter Kragen, enge Hose ... und natürlich der Haarschnitt. Der stillose Bürstenhaarschnitt, der Ragle immer so ans Militär erinnerte. Vielleicht lag es an dem Versuch ehrgeiziger junger Leute wie Bill Black, reglementiert zu erscheinen, als Teil einer riesigen Maschinerie. Und in gewissem Sinn waren sie es. Sie alle bekleideten mittlere Ränge als Funktionäre von Organisationen. Bill Black, ein typischer Fall, arbeitete für die Stadtverwaltung, für die Wasserwerke. An jedem schönen Tag machte er sich zu Fuß auf den Weg, nicht in seinem Wagen, gut gelaunt dahinmarschierend, in seinem Einreiher, er erinnerte an eine Bohnenstange, weil Sakko und Hose so unnatürlich und sinnlos eng waren. Und so überholt, dachte Ragle. Kurze Wiedergeburt eines archaischen Modestils für Männer ... wenn er Bill morgens und abends am Haus vorbeieilen sah, glaubte er, einen alten Film zu sehen. Und Blacks ruckartiger, zu schneller Gang verstärkte den Eindruck. Selbst seine Stimme, dachte Ragle. Zu hastig. Zu hoch und schrill.
Aber er wird etwas erreichen, gab er zu. Das Seltsame an dieser Welt ist, daß ein Streber ohne originelle Gedanken, der seine Vorgesetzten bis hin zu Rasur und Krawatte nachäfft, auffällt, herausgehoben wird und aufsteigt. In Banken und Versicherungen, in den großen Elektrizitätsgesellschaften, Raketenfabriken, Universitäten. Er hatte sie gesehen als junge Professoren, die irgendein tiefgründiges Thema lehrten – ketzerische christliche
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