Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitenlos

Zeitenlos

Titel: Zeitenlos
Autoren: Shelena Shorts
Vom Netzwerk:
Essensschlange ziemlich unspektakulär, aber diesmal schien ich einen Schatten zu haben. Als ich mich umdrehte, sah ich einen älteren Mann in einem Tweedjackett. Er sagte zunächst nichts, stand aber so dicht hinter mir, dass ich ihn unmöglich ignorieren konnte. Ich versuchte den Abstand zu vergrößern, und er versuchte mir wieder auf die Pelle zu rücken. Schließlich tippte mir eine faltige Hand auf die Schulter.
    »Verzeihung«, sagte der Mann höflich. Ich drehte mich um und zog fragend die Augenbrauen hoch. Er sah mich so konzentriert an als sei ich ein Gemälde. »Sie kommen mir so bekannt vor.« Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu und war sicher, ihn noch nie gesehen zu haben. Er neigte den Kopf und beäugte mich über den Rand seiner Brille. »Diese jadegrünen Augen würde ich überall wiedererkennen.«
    Jetzt begann ich mich echt unwohl zu fühlen. »Ähm, es tut mir leid, aber ich kenne Sie nicht.« Ich lächelte so freundlich ich konnte und wandte mich ab. Doch ich spürte seinen Blick im Rücken.
    Der Mann gab nicht so leicht auf. »Hat Ihre Mutter hier studiert?«, fragte er.
    Ich drehte mich halb zu ihm um. »Nein, hat sie nicht.« In der Hoffnung, ihn endgültig abgewimmelt zu haben, versuchte ich ein letztes gezwungenes Lächeln.
    »Sind Sie sicher? Sie war in keinem einzigen Kurs?«
    »Ja, ich bin mir ganz sicher.«
    »Sie sehen einer jungen Dame sehr ähnlich, die ich vor Jahren unterrichtet habe. Sie war in meinem Fotografiekurs.«
    »Wie nett.« Ich verstand nicht, was diese Fragen sollten, lächelte noch einmal und machte zwei weitere Schritte Richtung Tresen. Ein oder zwei Minuten vergingen.
    »Vielleicht war Ihre Tante hier?«
    Oh Mann. Ich drehte mich wieder um. »Nein, es tut mir leid. Niemand, den ich kenne, hat hier studiert.« Glücklicherweise fragte das Mädchen hinter dem Tresen in dem Moment nach meiner Bestellung.
    Ich hatte keine Ahnung, was der Typ von mir wollte, aber ich war es nicht gewohnt, von Fremden darauf angesprochen zu werden, dass ich jemandem ähnlich sah. Die meisten warfen einen Blick auf meine Mutter und sahen mich dann an, als wäre ich ein Adoptivkind. Sie hatte eine sehr helle Hautfarbe und ihre leuchtenden rotblonden Naturlocken waren zu einem Bob geschnitten. Meine Haut hatte das ganze Jahr hindurch eine natürliche Bräune, und mein dunkles Haar war der absolute Gegensatz zu ihrem. Es war nicht nur schwarz, sondern auch glatt und von den Schultern abwärts leicht gestuft. Das Einzige, was ich von ihr geerbt habe, sind die grünen Augen und die schlanke Figur.
    Ich bin definitiv nach meinem brasilianischen Vater geraten, aber weil er in unserem Leben nie eine Rolle gespielt hatte, gab es für die Leute keinerlei Anhaltspunkte, wenn sie über mein Aussehen spekulierten. Stattdessen wurde ich regelmäßig gefragt, wo ich herkäme. Die Feststellung, dass ich jemandem ähnlich sah, überraschte mich deshalb.
    Noch einmal drehte ich mich zu dem Professor um, der mich immer noch anstarrte. Ich nickte ihm zu und trug das Essen zu unserem Tisch.
    Kaum hatte ich mich hingesetzt, da bediente sich meine Mutter auch schon von den Pommes auf meinem Teller und legte mit der Planung meines bevorstehenden achtzehnten Geburtstags los. Bis dahin waren es nur noch drei Tage, und sie konnte einfach nicht aufhören, darüber zu reden. Einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass Mama selbst wieder achtzehn war. Sie liebte es, Dinge zu planen, und ich ließ sie deshalb gewähren. Meine einzige Bitte war, das Ganze so schlicht wie möglich zu halten, und das versprach sie. Mir blieb nichts anderes übrig als abzuwarten, ob sie sich auch daran halten würde.
    Der Weg zurück zu meinem Wagen schien nach dem Essen immer endlos, doch das machte mir nichts aus. So hatte ich Zeit nachzudenken, außerdem war die Gegend wunderschön. Auf dem Campus standen die faszinierendsten Bäume, die ich je gesehen hatte. Sie waren mehr als ungewöhnlich, geradezu bizarr. An einem der Wege stand eine riesige Eiche mit einem gewaltigen Stamm, aus dem vier oder fünf dicke Äste herausragten. Sie waren zuerst in die Höhe gewachsen und hatten sich dann geneigt, sodass ihre Spitzen den Boden wie eine gewaltige Kralle berührten.
    Am westlichen Ende des Campus befand sich eine Gruppe von Bäumen mit ganz normalen Stämmen. Doch die kräftigen Äste hatten in alle Richtungen ausgetrieben und schraubten sich wie gewellte Pommes fein säuberlich in die Höhe. Es war der eigenartigste, aber auch lustigste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher