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Zeitenlos

Zeitenlos

Titel: Zeitenlos
Autoren: Shelena Shorts
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Anblick, den man sich vorstellen kann. Mir machte dieser Spaziergang absolut nichts aus, und ich hoffte wirklich, dass Naturmotive eine Aufgabe in meinem Fotografiekurs sein würden. Und selbst wenn nicht, war klar, dass ich unbedingt noch mal hierherkommen musste, um Fotos zu schießen.
    In der Zwischenzeit aber musste ich bis zum Schulbeginn irgendetwas tun, und deshalb legte ich auf dem Weg nach Hause einen Stopp in einer Secondhand-Buchhandlung ein, um dort vielleicht ein interessantes Buch zu finden.
    Der Laden war so klein, dass die Frau hinter der Kasse die Stimme kaum erheben musste, um mich zu begrüßen. Ich erwiderte ihr Lächeln und machte mich auf den Weg in die Hardcover-Abteilung. Weil ich mit meinen Büchern ziemlich grob umging, wurden Taschenbücher bei mir nie alt. Ich brauchte Bücher, die stabiler waren, und von ihnen gab es mehrere Regale voll. Ich begann ganz oben und arbeitete mich auf der Suche nach irgendeinem alten Wälzer systematisch nach unten durch.
    Ich stand auf Klassiker und hatte eine ganz besondere Vorliebe für gebrauchte Bücher, am liebsten mit Widmung und Datum. Solche Einträge führten dazu, dass ich meiner Fantasie freien Lauf ließ und mir ausmalte, wie der frühere Besitzer wohl ausgesehen haben mochte. Gebrauchte Bücher hatten einfach mehr Charakter, fand ich.
    Ich hatte die Frauenromane halb durchgesehen, als mir ein Buch auffiel, das besonders alt aussah. Es war ein viktorianischer Klassiker von Elizabeth Gaskell mit dem Titel »North and South«. Auf einem der bräunlich verfärbten Seiten stand eine verblasste Widmung: Herzlichen Glückwunsch zum 18. Geburtstag, Liebling. Alles Liebe, Mama. 8. Oktober 1962.
    Das war schon etwas eigenartig. Ich fröstelte ein bisschen angesichts des persönlichen Bezugs zu mir und klemmte das Buch unter den Arm. Es kam mir so passend vor, dass ich es kaufte.
    Zu Hause goss ich mir ein großes Glas Limonade ein und setzte mich auf meine Veranda, wo ich las und gleichzeitig die Aussicht genoss.
    Es war zwar ein gutes Buch, doch als Geschenk für eine Tochter schien es mir eine merkwürdige Wahl. Es sei denn , dachte ich, die Tochter war der Heldin der Geschichte ähnlich gewesen . Sie musste ein starkes Mädchen gewesen sein, das sich über soziale Ungerechtigkeit den Kopf zerbrach und seinem Herzen folgte. Ich seufzte angesichts dieser Vorstellung, und das Buch fühlte sich plötzlich so schwer an, als würde seine eigene Geschichte auf ihm lasten. Doch es erfüllte seinen Zweck und würde mich bis zu meinem Geburtstag am Sonntag beschäftigen.
    Ich wachte morgens wie an jedem anderen Tag auf. Doch als ich mir die Zähne putzen wollte, wurde ich vom Anblick eines mit lila und rosa Luftballons gefüllten Badezimmers völlig überrascht. Mama . Das war typisch für sie. Auf den Spiegel war ein weißes Papier geklebt, das mit pflaumenfarbenen Herzen übersät war, und auf dem in Großbuchstaben stand: »Herzlichen Glückwunsch. Ich hab dich lieb!«
    Ich musste lächeln, als ich den Zettel vorsichtig löste und zur Seite legte. Dann schaute ich mich ganz genau im Spiegel an, doch ich bemerkte keinen Unterschied. Ich sah aus wie immer. Ich überlegte, ob sich vielleicht irgendetwas anders anfühlte . Ein bisschen . Ich war jetzt achtzehn, und das war irgendwie cool.
    Hätte ich gewusst, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, wäre ich vielleicht erwartungsvoller gewesen. Aber ich hatte meine Bestimmung noch nicht gefunden, und das beschäftigte mich. Ich mochte alles, was mit Medizin zu tun hatte, aber ich war mir nicht sicher, ob ich Krankenschwester werden wollte. Mir schwebte etwas Aufregenderes vor, etwas, für das ich mich wirklich anstrengen musste. Doch jedes Mal, wenn ich an meine Zukunft denken wollte, war da nichts als Leere, und mir fiel einfach nichts ein. Ich verdrängte diese ungewissen Gedanken, und ohne noch einmal in den Spiegel zu blicken, putzte ich meine Zähne.
    »Sophie!«, rief meine Mutter von unten.
    »Ja?«, brüllte ich zurück.
    »Komm runter. Das Frühstück ist fertig.«
    »Okay, ich komme.« Schon von Weitem konnte ich den Schinkenspeck riechen und ging mit einem Lächeln die Treppe hinunter. Es roch gut, und ich hatte Hunger.
    Ich setzte mich an den Tisch, und Mama bestand darauf, alle meine Lieblingsgerichte aufzufahren. Der Teller war beladen mit Rührei, Bratkartoffeln und Schinkenspeck. Außerdem gab es auch noch eine im Ofen gebackene, mit Zimt und Zucker bestreute Grapefruit. Meine Augen wurden
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