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Zeitenlos

Zeitenlos

Titel: Zeitenlos
Autoren: Shelena Shorts
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passiert ist, und dann bist du dran«, versicherte ich. »Und wenn du bis dahin nicht fertig bist …«
    »Halt’s Maul!«, brüllte er und stieß meinen Kopf zurück. Er schnappte sich mein Blut und stürmte aus dem Zimmer. Ich seufzte erleichtert und dachte darüber nach, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war. Wes hatte ihn gehört. Zumindest hoffte ich das. Und wenn er ihn gehört hatte, dann würde er alles herausfinden.
    Weil ich nicht wusste, wie lange ich ohnmächtig gewesen war, und der Raum kein Tageslicht hereinließ, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich schon hier war. Der einzige Anhaltspunkt dafür, dass es noch nicht ewig sein konnte, war die Tatsache, dass ich noch nicht aufs Klo gemusst hatte. Ich presste die Knie zusammen und versuchte, weiterhin nicht daran zu denken.
    Nach einer Weile begannen meine Gedanken zu verschwimmen und meine Augen wurden schwer. Das Nächste, an das ich mich erinnere, war, dass ich von Dr. Thomas träumte. Er war jung, so jung wie auf dem Foto mit Wes und mir, das ich gesehen hatte. Er trug einen weißen Laborkittel, und ich sah ihm beim Schreiben über die Schulter. »Amelia«, sagte er. »Ich glaube, ich habe es gefunden. Es scheint zu funktionieren. Die Blutarten sind ähnlich, und sie ergänzen sich in so vielen Punkten. Ich glaube, das hier ist der Schlüssel, damit die Bluttransfusionen funktionieren.« Ich beugte mich nach vorn, um besser sehen zu können. Er hielt sein Tagebuch mit einer Auflistung hoch, die aus Nummern und Formeln zu bestehen schien.
    Ich konzentrierte mich auf die Liste, als ich einen fürchterlichen Schrei hörte, der irgendwo von oben kam. Es war der Schrei eines Menschen. Ich öffnete die Augen, doch alles war dunkel. Ich hörte genau hin. Da schrie definitiv ein Mann. Und wer auch immer es war, er hatte qualvolle Schmerzen. Dann hörte ich dumpfe Geräusche, so als würde jemand auf den Boden hämmern und sich hin und her rollen.
    Das Getöse erinnerte mich daran, wie Wes seine Verwandlung beschrieben hatte. Das muss es sein , dachte ich. Andy hat es an jemandem ausprobiert. Nein, nicht an jemandem. Hätte er ein anderes Opfer gefunden, würde er das vermutlich genauso wie mich gefesselt haben. Er musste es an sich selbst probiert haben. Perfekt , dachte ich, es sei denn, dass es tatsächlich klappte.
    Ich machte mir immer größere Sorgen, bis ich schließlich zu meinem Traum zurückkehrte. Meine Augen wurden groß, als ich die Möglichkeit erwog, dass es gar kein Traum gewesen war. Es konnte durchaus sein, dass ich mich wieder erinnert hatte, so wie an die Bilder aus jener Nacht, als Lenny starb, die ich in einem Traum gesehen hatte. Und wenn ich mich erinnerte, um was ging es dann ganz konkret? Dr. Thomas hatte mich Amelia genannt, also erinnerte ich mich an etwas, was zwischen ihm und ihr vorgefallen war. Er hatte von seiner Arbeit gesprochen und dem passenden Blut, und dann die Auflistung – keine Liste, sondern eine Formel. Mir blieb die Luft weg. Das Serum, die fehlenden Seiten in dem Tagebuch.
    Angesichts der anhaltenden Schreie fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren, aber mir fiel wieder ein, dass Dr. Thomas mir gezeigt hatte, was er herausgefunden hatte. Er hatte gesagt, dass er glaubte, die Antwort gefunden zu haben. Und ich hatte sie gesehen. Ich musste sie gesehen haben. Schließlich war ich die Einzige, mit der Dr. Thomas damals zusammengearbeitet hatte.
    Die Antwort lag nicht nur in den fehlenden Seiten seines Tagebuchs, ich hatte die Antwort in meinem Gedächtnis. Würde ich mich daran erinnern können? Ich hatte nicht lange genug auf die Seiten geschaut, um in meinem Traum irgendetwas wiederzuerkennen. Die Schreie hatten meine Reise in die Vergangenheit zu schnell unterbrochen.
    Verzweifelt versuchte ich, mich an das Geschriebene zu erinnern, aber mein Kopf war völlig leer. Ich stöhnte frustriert. Als ich kurz davor war, komplett den Verstand zu verlieren, hörten die Schreie auf. Etwa zehn Minuten schienen vergangen zu sein. Zehn Minuten ununterbrochener Schreie. Ich dachte über dieses wichtige Detail nach.
    Zehn Minuten waren ungefähr die Zeitspanne, nach der die Patienten, denen das Alligatorblut-Serum verabreicht worden war, keine Schmerzen mehr empfanden und dann laut der Aufzeichnungen von Dr. Thomas gestorben waren. In mir machte sich Hoffnung breit, dass mein Plan funktioniert haben könnte – aber nur, wenn Andy sich das Serum tatsächlich selbst gespritzt hatte.

Kapitel 20
    Sterben
    D ie Stille oben ging
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