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Zeitbombe

Titel: Zeitbombe
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gegenüber hat werden lassen.«
    »Aber …«, wollte Lenz weiterfragen, wurde jedoch von Bornmann sanft unterbrochen.
    »Aber warum«, äffte der den Tonfall des Hauptkommissars nach, »sind Sie denn nicht zu mir gekommen? Ich hätte Ihnen ganz bestimmt mein Ohr geschenkt, und nicht nur das. Ich hätte, und das schwöre ich, die ganze Scheiße von damals noch einmal aufgerollt.«
    »Ja!«
    Bornmann lachte heiser auf.
    »Ich kenne Sie zwar nicht, aber ich kaufe Ihnen das auch nicht ab. Im Zweifel siegt nämlich immer der Bullenkorpsgeist.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Ich glaube nicht, dass ich diese Frage weiter mit Ihnen diskutieren möchte, meine Herren«, erwiderte Bornmann trocken mit einer Geste in Richtung des hilflosen Ludger Brandt. »Und deshalb muss ich Sie jetzt bitten, uns beide allein zu lassen.«
    »Was genau passiert dann?«
    »Och, eigentlich nicht viel. Ich werde, genau wie ich es mit den anderen gemacht habe, mit ihm ein Gespräch darüber führen, wie das ist, einer Situation völlig hilflos ausgeliefert zu sein. Wie es ist, keine Kontrolle mehr zu haben.«
    Wieder sein heiseres Lachen.
    »Ich bin ein Spezialist auf diesem Gebiet, wie Sie sicher schon herausgefunden haben dürften; immerhin kann ich auf mehr als 21 Jahre Erfahrung in völliger Hilflosigkeit zurückblicken.«
    Es entstand eine kleine Pause.
    »Mensch, Bornmann«, bewegte Hain sich einen Schritt auf den Exsträfling zu, was dieser mit einer ruckartigen Bewegung quittierte, die Brandt eine weitere, negative Veränderung seiner Position bescherte. Der pensionierte Polizist gab einen entsetzten Laut von sich, aus dem seine Todesangst mit jeder Frequenz herauszuhören war. Hain zog sich augenblicklich wieder zurück.
    In Lenz’ Gehirn fielen die Gedanken mit atemberaubender Geschwindigkeit übereinander her, jedoch war keiner dabei, der zu einer Verbesserung von Ludger Brandts Lage beigetragen hätte. Sie konnten natürlich auf Bornmann schießen, doch er nahm es als relativ sicher an, dass Brandts Gewicht dann beide in die Tiefe reißen würde. Er schätzte noch einmal die Distanz zu dem Seil ab, das zwischen den beiden gespannt war. Fünf Meter, vielleicht sechs. Keine Chance also für eine koordinierte, erfolgversprechende Aktion wie etwa einen Hechtsprung. Bornmann musste einfach nur einen Meter auf die Kante zutreten, den Rest würde die Schwerkraft übernehmen.
    »Wollen Sie wirklich sterben?«, hörte der Hauptkommissar nun seinen Kollegen neben sich fragen.
    Erneut eine kurze Pause.
    »Nein«, erwiderte Bornmann dann ebenso bestimmt wie überzeugend. »Und das brauche ich auch gar nicht mehr. Ich bin nämlich schon vor langer, sehr langer Zeit gestorben, und nur noch auf der Erde geblieben, um diesen Abend zu erleben. Um dabei zu sein, wenn sein Leben ebenfalls zu Ende geht.«
    Er wandte sich nach rechts und betrachtete den Mann auf der Brüstungskante.
    »Tja, und jetzt heißt es endgültig Abschied nehmen, Ludger.«
    Damit machte er einen Schritt auf die Terrassenmauer zu, und noch bevor Lenz oder Hain hätten reagieren können, hatte sich das Seil, das zwischen ihm und Brandt gespannt war, so weit gelockert, dass der ehemalige Polizist das Gleichgewicht verlor und langsam, wie in Zeitlupe, nach vorn kippte. Im letzten Moment, in dem er für die Polizisten sichtbar war, wurde sein Körper in eine leichte Rotation versetzt, und Lenz hatte den Eindruck, er hätte noch einmal in die Augen seines langjährigen Chefs blicken können. Dann verschwand das merkwürdige menschliche Paket aus seinem Blick. Das Seil spannte sich, Bornmann wurde ruckartig und mit aberwitziger Geschwindigkeit an die Mauer gezogen, im gleichen Sekundenbruchteil nach oben geschleudert und verschwand mit einem lauten, kehligen, an ein tödlich verwundetes Tier erinnernden Schrei in der Tiefe.
     

35
    Kassel, ein paar Tage später.
    »Wie war es?«, fragte Thilo Hain.
    »Wie Krankenbesuche so sind.«
    Der Hauptkommissar nahm einen großen Schluck Cola und stellte seinen Becher danach wieder auf den Tisch. Die beiden saßen in der Abendsonne vor dem Amerikaner am Bahnhof und nahmen einen Snack. Lenz konnte von seinem Platz aus den Eingang zum Präsidium sehen.
    »Sie ist völlig durch den Wind. Aber wer will es ihr verdenken, schließlich hat sie gerade ihren Mann verloren. Nach 28 Jahren Ehe.«
    »Und obendrein ihr ganzes bisheriges Leben«, fügte Hain hinzu.
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, vermutlich wird nun der ganze Fall von damals wieder aufgerollt. Es
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