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Zeitbombe

Titel: Zeitbombe
Autoren: Gmeiner-Verlag
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getroffen, seine Deckung im Treppenhaus aufzugeben und ebenfalls auf die Terrasse zu stürmen. Deshalb umfasste er den Griff seiner Waffe noch ein wenig fester und setzte sich in Bewegung. Was er sah, nachdem er um die Ecke herum war, raubte ihm den Atem.
    Ludger Brandt stand an der vorderen Kante des Simses der Begrenzungsmauer; das Gesicht des ehemaligen Kriminalrats wies nach vorn, auf den über 30 Meter hohen Abgrund zu. Sein gesamter Körper war bis zur Unterkante der Nase mit braunem Paketband umwickelt, sodass er weder die eng an der Hüfte anliegenden Arme noch die Beine oder auch nur die Füße bewegen konnte; auch war es ihm offenbar nicht möglich, das Hüftgelenk zu knicken. Seine Erscheinung hatte etwas von einer Mumie, die jedoch nicht in einem Sarg lag, sondern in einem Winkel von etwa 15 Grad nach vorn geneigt über der Kante verharrte, nur von einem dünnen Kunststoffseil gehalten, dessen Ende irgendwo am Oberkörper eines Mannes auslief, der etwa zwei Meter davon entfernt stand und seelenruhig an einem Joint zog. Obwohl weder Lenz noch Hain jemals ein Foto von Rüdiger Bornmann gesehen hatten, war ihnen sofort klar, mit wem sie es zu tun hatten.
    »Hände hoch, Bornmann!«, schrie der Hauptkommissar deshalb.
    Rüdiger Bornmann, der sich nach Hains Sturz in Richtung des Eingangs gedreht hatte, wandte den Kopf ein paar Grad nach links und sah Lenz belustigt ins Gesicht.
    »Guten Abend, meine Herren Polizisten. Was verschafft mir die Ehre?«
    Während der ehemalige Strafgefangene sprach, hatte Hain sich nach vorn gerobbt, nach seiner Waffe gegriffen und zielte nun auf dessen Kopf. Bornmann sah ihn grinsend an.
    »Sie glauben nicht, welchen Gefallen Sie mir mit diesem Schuss tun würden. Also, nur zu!«
    Der junge Oberkommissar warf seinem Chef einen fragenden Blick zu, doch Lenz zögerte. Im gleichen Moment nämlich hatte Bornmann sich eine Winzigkeit auf Brandt zubewegt, was dessen Gleichgewicht sofort um einige Grade in Richtung Abgrund verschob. In diesem Augenblick erkannte Hain auch den Grund dafür.
    Vor Ludger Brandts Bauch baumelte ein schwerer Stein oder etwas Ähnliches, der einen gewissen Zug nach unten entwickelte, und, sobald Bornmann sich auf den hilflos dastehenden pensionierten Polizisten zubewegte, für sein Kippen sorgen würde. Allerdings war mit der wilden Konstruktion auch unweigerlich Bornmanns Absturz verbunden.
    »Machen Sie keinen Quatsch, Mann, und gehen Sie rückwärts!«, rief Hain, doch der mit Jeans, Cowboystiefeln und Lederjacke bekleidete Mann schenkte der Aufforderung keine Beachtung und zog noch einmal genussvoll an seinem Joint.
    »Was, nur zu meiner Information, wollen Sie denn machen, wenn ich Ihrem Befehl nicht nachkomme?«, fragte er mit dunkler, sonorer Stimme. »Wollen Sie mich dann erschießen?«
    Damit trat er wieder ein paar Zentimeter näher an Brandt heran, dessen Winkel zum Abgrund sich dadurch natürlich wieder zu seinen Ungunsten veränderte.
    »Nein«, schrie Lenz auf, »tun Sie das nicht! Bitte nicht!«
    »Warum sollte ich das nicht tun? Dieser Drecksack ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich die schönsten Jahre meines Lebens im Knast verbringen musste. Er und seine Kumpane.«
    »Wir wissen, Herr Bornmann, dass Sie seinerzeit unschuldig verurteilt wurden. Aber Sie machen jetzt nichts besser, wenn Sie einen weiteren Menschen umbringen.«
    »Ach«, erwiderte Rüdiger Bornmann mit enervierender Ruhe, »auf einen mehr oder weniger kommt es doch jetzt auch nicht mehr an. Wegen der drei anderen würde ich sowieso nie mehr ungesiebte Luft zum Atmen kriegen.«
    »Das ist doch noch gar nicht raus«, log Hain, der noch immer auf den Kopf des Mannes zielte.
    »Schlechter Versuch«, tadelte der laut loslachende Bornmann, bei dessen Bewegungen sich jeweils auch der Körper von Brandt mitbewegte, zog noch einmal an seinem Joint und warf den Rest über die Brüstung.
    »Warum haben Sie Zwick umgebracht?«, wollte Lenz wissen. »Er hatte garantiert mit der Sache von damals nichts zu tun.«
    »Franz Zwick«, echote der Mann mit der Lederjacke. »Guter, gerader Polizist. Nur leider nicht daran interessiert, einen alten Mordfall wieder aufzurollen, bei dem ein Unschuldiger als Opferlamm geschlachtet wurde.«
    »Sie haben ihm davon erzählt?«
    »Mehrmals. Mehrmals bin ich bei ihm gewesen und habe ihn gebeten, sich der Sache noch einmal anzunehmen. Leider war er sehr renitent, was das anging. Und er hat mich beleidigt, was wiederum mich ein wenig renitent ihm
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