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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug
Autoren: James Kahn
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Hand umklammerte das Schwert fester.
    »Unsere Reise ist moralisch«, wiederholte Joshua. Er fühlte, dass sich die Situation rasch verschlechterte; es musste etwas geschehen. Gegen diese Leute hier hatte er nichts. Er wollte ihnen nur zeigen, dass er nicht ihr Gegner war. Er beschloss, alles auf eine Karte zu setzen.
    »Unsere Kraft kommt aus dem Wasser«, sagte er feierlich.
    Er sah, dass sie alle erstarrten. Beauty sah ihn skeptisch fragend an. Josh wusste, dass diese Leute eine komplexe, mystische, wiedertäuferische Beziehung zum Meer hatten. Es war zu erwarten gewesen, dass sie auf seine Behauptung scharf reagieren würden. So war es auch; es knisterte plötzlich in der Luft.
    »Wasser ist heilig …«, erklärte die Frau mit der Kapuze warnend.
    Das Grinsen des Gorillas verschwand. Der Vogel-Mann öffnete weit den Schnabel, als schreie er lautlos.
    »Das Wasser gibt uns Macht«, stellte Josh fest. »Ich kann aus Wasser Feuer machen.«
    Der Mann mit dem zottigen Gesicht schüttelte heftig den Kopf. Beauty schien jeden Augenblick springen zu wollen.
    Josh entfernte sich mit ruhigen, bedächtigen Schritten vom Ufer. Er sammelte eine Handvoll vertrocknetes Gras und Rinde, trug das Häufchen zum Fluss zurück und schichtete es am Ufer auf. Armbrust und Schießrohr folgten ihm.
    Er pflückte einen langen Grashalm heraus und knüpfte eine kleine Schlinge hinein, zu klein, als dass eine Beere hindurchkonnte. Dann tauchte er den ganzen Grashalm ins Wasser. Als er ihn herauszog, schillerte gebläht ein Wassertropfen in der Schlinge. Die anderen verfolgten die rätselhaften Vorgänge gespannt.
    Er hielt den Grashalm an einem Ende fest und die Schlinge ungefähr fünfzehn Zentimeter über das Häufchen aus trockenem Gras. Die heiße Nachmittagssonne gleißte durch die lichtbrechende Wasserlinse. Josh bewegte sie ein paar Zentimeter auf und ab, bis der Brennpunkt genau in die Mitte des Brennmaterials fiel; dann blieb er regungslos so sitzen.
    Sie beobachteten ihn gebannt. Das Ritual beeindruckte sie offenbar, wie alle Wasserrituale. Beauty hielt den Atem an. Niemand sagte etwas.
    Nach wenigen Minuten stieg unter dem grellen Licht der wassergefüllten Grasschlinge Rauch auf. Joshua blies sanft hinein. Der Rauch verwehte, quoll dann stärker, und das Gras ging in kleinen gelben Flammen auf.
    Die Wesen wichen zurück, mit Ausnahme der Frau mit der Kapuze. Sie regte sich nicht.
    »Eure Macht kommt aus dem Wasser«, sagte sie schließlich. Sie gab den anderen ein Zeichen, und sie liefen alle davon in den Wald am Südufer des Flusses.
    Beauty war fassungslos.
    »Wo hast du das gelernt?« fragte er scharf.
    »Aus einem Buch«, erwiderte Josh vergnügt.
    »Schreiber.« Beauty schüttelte nachsichtig den Kopf. »Du kannst von Glück sagen, dass du nicht als Zauberer gehängt worden bist.«
    »Wörter sind manchmal der stärkste Zauber.«
    »Schweigen ist stärker«, widersprach Beauty.
    »Ich rede von geschriebenen Wörtern.«
    »Warum hast du dann für die ESS nicht einfach etwas in den Sand gekritzelt? Oder ihnen ein Buch gezeigt?« Beauty teilte die Meinung seines Freundes über die Macht des geschriebenen Wortes nicht.
    »Ich hatte kein Buch dabei. Außerdem trauen die ESS Leuten nicht, die lesen und schreiben können.« Er sprach mit der nachsichtigen Herablassung einer Person, die sich im Recht weiß, die Unwissenheit anderer aber versteht.
    Beauty wurde nachdenklich.
    »Für ESS sind sie sehr weit im Norden.«
    »Vielleicht ein Streifzug«, meinte Joshua.
    Sie hörten ein schwaches Summen hinter sich und fuhren herum. Auf dem Ufer saß der Flatterling. Die roten und goldenen Flügel gingen langsam auf und ab, das schwarze, kleine Gesicht zeigte ein hoffnungsvolles Lächeln.
    »Sie ist uns gefolgt!« entfuhr es Josh.
    »Kehr um, Kleine«, sagte Beauty ruhig zu dem scheuen Wesen. Das Gesicht blieb Josh zugewandt.
    »Du kannst nicht mitkommen«, erklärte Josh. »Wir sind Jäger.«
    Das Summen wurde schriller, als das kleine Herz schneller schlug.
    »Sie kann nicht Schritt halten«, erklärte Beauty abschließend. »Komm.«
    Josh und Beauty wandten sich ab und trabten in Richtung Osten flussaufwärts, um die Fährte wieder zu finden. Der Flatterling wirkte enttäuscht, aber dann schwang sich das Wesen in die Luft und schwebte geduldig hoch über den neuen Freunden dahin.
     
    Von dem Unglücksfall war flussaufwärts keine Spur zu finden. Die Jäger kehrten um. Gegen Sonnenuntergang fanden sie im Westen die Spur des verwundeten
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