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Zeit im Wind

Zeit im Wind

Titel: Zeit im Wind
Autoren: Nicholas Sparks
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großgeblümte Gewänder. Sie hatte eine dicke, dunkle Hornbrille und begrüßte jeden mit einem »Halloooo«, wobei sie die letzte Silbe singend in die Länge zog. Miss Garber war eine außergewöhnliche Frau, kein Zweifel, und sie war unverheiratet, was die Sache noch verschlimmerte. Jedes männliche Wesen, ganz gleich welchen Alters, verspürte unwillkürlich Mitleid mit ihr.
    Unter ihren Namen schrieb sie die Ziele, die sie in dem Jahr erreichen wollte. »Selbstvertrauen« war das erste, gefolgt von »Selbsterkenntnis« und, drittens , »Selbsterfüllung«. Miss Garber hielt große Stücke auf diese »Selbst‹‹-Sachen, womit sie den Entwicklungen in der Psychotherapie weit voraus war, aber das war ihr damals wahrscheinlich nicht bewußt. Sie war auf diesem Feld Vorreiterin. Vielleicht hatte es etwas mit ihrem Aussehen zu tun und war ein Versuch, ein besseres »Selbstwertgefühl« zu bekommen. Aber ich schweife ab.
    Die Stunde hatte schon begonnen, da fiel mir etwas Ungewöhnliches auf. Obwohl die Beaufort High School nicht groß war, wußte ich doch mit Sicherheit, daß die Verteilung von Mädchen und Jungen ziemlich genau halbehalbe war. Deswegen war ich überrascht, als ich sah, daß in dieser Klasse mindesten neunzig Prozent Mädchen saßen. Ich entdeckte nur noch einen anderen Jungen, was dem Moment fühlte ich mich großartig, nach dem Motto:
    »Hoppla, jetzt komm ich!«
    Mädchen, wohin das Auge blickt, dachte ich unwillkürlich, überall Mädchen, Mädchen und keine Prüfungen.
    Zugegeben, ich hatte nicht unbedingt die schnellste Auffassungsgabe.
    Miss Garber fing also mit dem Weihnachtsstück an und erklärte uns, daß Jamie Sullivan in diesem Jahr den Engel spielen würde. Und dann fing sie an zu klatschen - sie gehörte auch zu unserer Kirche -, und einige von uns dachten, ihr Applaus gelte Hegbert, weil sie in ihn verliebt sei. Als ich das erste Mal davon hörte, dachte ich: Zum Glück sind sie zu alt, um Kinder zu bekommen, wenn sie je ein Paar würden. Man muß sich das mal vorstellen - durchsichtig mit Sommersprossen? Schon der Gedanke ließ alle erschaudern, aber natürlich hat nie einer eine Bemerkung darüber gemacht, wenigstens nicht in Hörweite von Miss Garber oder Hegbert. Gerede ist das eine, aber gemeiner Klatsch ist etwas ganz anderes, und selbst wir auf der High School waren nicht so gehässig.
    Miss Garber klatschte weiter, erst mal ganz allein, bis wir schließlich alle einfielen, denn es war offensichtlich, daß sie das wollte. »Steh auf, Jamie«, sagte sie, »zeig den anderen, wer du bist.«
    Also stand Jamie auf und drehte sich um, worauf Miss Garber noch heftiger klatschte, als stünde sie vor einem leibhaftigen Filmstar.
    Jamie Sullivan war bestimmt ein nettes Mädchen, daran ist kein Zweifel. Beaufort war so klein, daß es nur eine Grundschule gab, und folglich waren wir schon unser ganzes Leben lang in einer Klasse, aber es wäre gelogen, wenn ich sagte, daß ich je mit ihr gesprochen hätte.
    Einmal, in der zweiten Klasse, saß sie das ganze Schuljahr neben mir, und damals haben wir uns bestimmt manchmal unterhalten, aber das hieß nicht, daß ich meine Freizeit mit ihr verbrachte, auch damals nicht. Wen ich in der Schule sah, war die eine Sache, mit wem ich mich nach der Schule traf, war eine ganz andere, und Jamie hatte noch nie zu meinem Freundeskreis gehört.
    Nicht, daß Jamie nicht ganz passabel aussah - das war es nicht. Sie war kein häßliches Entlein oder so. Zum Glück schlug sie ganz nach ihrer Mutter, die, nach den Bildern zu urteilen, die ich gesehen hatte, ganz hübsch gewesen war, besonders, wenn man bedenkt, wen sie geheiratet hatte. Aber Jamie war auch nicht unbedingt das, was ich attraktiv nennen würde. Obwohl sie schlank war und honigblondes Haar und sanfte blaue Augen hatte, sah sie meistens irgendwie… unscheinbar aus, und auch nur dann, wenn man sie überhaupt bemerkte. Jamie machte sich nichts aus ihrem Äußeren, weil sie immer nach »innerer Schönheit« und solchen Sachen strebte. Das war vermutlich mit ein Grund für ihr Aussehen. Denn solange ich sie kannte - und das war ziemlich lange -, hatte sie ihr Haar immer in einem straffen Knoten getragen, fast wie eine alte Jungfer, und nie hatte sie auch nur ein Tüpfelchen Makeup aufgelegt. Wenn sie dann noch ihre gewöhnliche braune Strickjacke und den Schottenrock anhatte, dann sah sie aus, als wäre sie auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch in der Bücherei. Wir dachten, das sei nur eine
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