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Zeit im Wind

Zeit im Wind

Titel: Zeit im Wind
Autoren: Nicholas Sparks
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ganze Gesicht hatte. Einmal kam eine Frau mit einem Kind, das im Rollstuhl saß. Mein Vater warf einen Blick auf den Jungen und sagte: »Ich wette eins zu zehn, du bist der klügste in deiner Klasse.«
    Und es stimmte! Ja, so was konnte mein Vater sehr gut. Er konnte mit den besten mithalten, daran besteht kein Zweifel. Und so übel war er auch nicht, um ehrlich zu sein, wenn man bedenkt, daß er mich nicht geprügelt hat oder so.
    Aber er war nie da in meiner Kindheit. Ich sage das nicht gern, weil die Leute das heutzutage vorbringen, auch wenn der Vater da war, um damit ihr Verhalten zu entschuldigen. »Mein Dad… er hat mich nie geliebt… deswegen bin ich Stripperin geworden und in der Jerry-Springer-Show aufgetreten…«
    I ch benutze es nicht als Entschuldigung dafür, daß ich so geworden bin, wie ich bin; es war einfach eine Tatsache. Mein Vater war neun Monate im Jahr nicht da und lebte dreihundert Meilen entfernt in Washington D. C. in einem Apartment. Meine Mutter ist nicht mit ihm gegangen, weil sie sich darüber einig waren, daß ich »so aufwachsen sollte wie sie beide«.
    Natürlich hat mein Großvater meinem Vater das Jagen und Fischen beigebracht, hat mit ihm Ball gespielt, war bei den Geburtstagsfesten dabei - all die kleinen Sachen, die ganz schön wichtig sind, bevor man erwachsen wird. Mein Vater hingegen war ein Fremder, ich kannte ihn kaum. Die ersten fünf Jahre meines Lebens dachte ich immer, alle Väter wohnten woanders. Erst als Eric Hunter , mein bester Freund im Kindergarten, mich fragte, wer der Mann sei, der am Abend zuvor bei mir zu Hause aufgetaucht war, wurde mir klar, daß irgendwas nicht stimmte. »Das war mein Vater«, erklärte ich stolz.
    »Ach…«, sagte Eric und durchwühlte meine Brotdose nach einem Milky Way. »Ich wußte gar nicht, daß du einen Vater hast.«
    Man nennt so was einen Schlag ins Gesicht.
    Ich wuchs also in der Obhut meiner Mutter auf. Sie war eine sehr nette Frau, lieb und freundlich, die Art Mutter, wie man sie sich erträumt. Aber sie war kein männlicher Einfluß in meinem Leben und konnte es auch nicht sein, und das, gekoppelt mit meiner wachsenden Enttäuschung über meinen Vater, machte mich schon in jungen Jahren etwas rebellisch. Nicht, daß ich ein schlimmer Rebell war. Meine Freunde und ich haben uns nur nachts manchmal davongeschlichen und Autoscheiben mit Seife eingeschmiert, oder wir haben Erdnüsse auf dem Friedhof hinter der Kirche gegessen, aber in den fünfziger Jahren veranlaßte das andere Eltern dazu, den Kopf zu schütteln und ihren Kindern zuzuflüstern: »Werd du nur nicht wie dieser Junge von den Carters! Der ist auf dem besten Weg ins Gefängnis.«
    Ich. Ein ganz Schlimmer? Weil ich Erdnüsse auf dem Friedhof gegessen habe? Daß ich nicht lache.
    Mein Vater und Hegbert kamen also nicht miteinander klar, aber das lag nicht nur an der Politik. Nein, anscheinend kannten sich mein Vater und Hegbert aus ferner Vergangenheit. Hegbert war ungefähr zwanzig Jahre älter als mein Vater, und bevor er Pfarrer wurde, hatte er für meinen Großvater gearbeitet - den Vater meines Vaters. Mein Großvater hatte zwar viel Zeit mit seinem Sohn verbracht, aber er war trotzdem ein echter Mistkerl, daran besteht kein Zweifel. Er war übrigens auch derjenige, der das Familienvermögen angehäuft hatte, aber man darf ihn sich nicht als jemanden vorstellen, der hart gearbeitet und dafür gesorgt hatte, daß sein Geschäft mit der Zeit wuchs und gedieh. Mein Großvater war viel schlauer, und sein Geld machte er auf viel einfachere Art: Er fing als Schwarzbrenner an und wurde während der Prohibition reich, indem er Rum aus Kuba einschmuggelte. Später kaufte er Land und setzte Pächter darauf, er nahm neunzig Prozent des Ertrags, den die Pächter aus ihrer Tabakernte erwirtschafteten, dann lieh er ihnen Geld, wenn sie es brauchten, und verlangte horrende Zinsen. Natürlich wollte er das Geld nie zurückgezahlt haben, statt dessen erwirkte er die Zwangsvollstreckung auf das Land oder ihre Gerätschaften. In einem »Augenblick der Inspiration«, wie er es nannte, gründete er daraufhin eine Bank, die Carter Banking and Loan. Die einzige andere Bank im Umkreis von zwei Bezirken war unter mysteriösen Umständen abgebrannt und wurde, da inzwischen die Depression hereingebrochen war, nie wieder eröffnet. Obwohl alle wußten, was wirklich passiert war, wagte niemand, ein Wort darüber zu verlieren, aus Angst vor einem Vergeltungsschlag, und die Angst war
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