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Zeit im Wind

Zeit im Wind

Titel: Zeit im Wind
Autoren: Nicholas Sparks
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entdeckte er uns jedesmal. Eine Weile guckte er von einer Seite zur anderen, plötzlich hielt er den Kopf still, und seine knopfartigen Augen sahen uns direkt an, durch den Baum hindurch. »Ich kenne dich, Landon Carter«, sagte er dann , »und der Herr kennt dich auch.«
    Das ließ er einen Moment lang wirken, bis er sich endlich wieder in Bewegung setzte. Bei der Predigt am Sonntag darauf richtete er den Blick genau auf uns und sagte: »Gott ist barmherzig zu den Kindern, aber die Kinder müssen sich dessen auch wert erweisen.«
    Und wir rutschten auf unserer Bank tiefer, nicht aus Scham, sondern damit er nicht merkte, daß wir erneut losprusteten. Hegbert konnte nichts mit uns anfangen, was eigentlich ein bißchen komisch war, wo er doch auch ein Kind hatte. Das war allerdings ein Mädchen. Mehr darüber später.
    Jedenfalls schrieb Hegbert in einem Jahr DER WEIHNACHTSENGEL und beschloß, es statt »Ein Weihnachtslied« aufzuführen. Das Stück ist gar nicht so schlecht, was alle in dem Jahr, als es zur Premiere kam, überraschte. Im Grunde genommen ist es die Geschichte von einem Mann, der ein paar Jahre zuvor seine Frau verloren hat. Der Mann, er heißt Tom Thornton, war früher sehr gläubig gewesen, aber sein Gottvertrauen war erschüttert worden, als seine Frau bei der Geburt ihres Kindes starb. Jetzt zieht er das Kind ganz allein auf, aber er ist kein besonders guter Vater. Zu Weihnachten möchte nun das kleine Mädchen eine bestimmte Spieldose mit einem geschnitzten Engel obendrauf haben. Ein Bild davon hat sie aus einem Katalog ausgeschnitten. Der Mann sucht überall nach dem Geschenk, kann es aber nirgendwo finden. So wird es Heiligabend, und er sucht immer noch. Während er durch die Geschäfte geht, begegnet er einer Frau, die er noch nie zuvor gesehen hat. Sie verspricht ihm, das Geschenk für seine Tochter zu finden.
    Doch zuerst helfen sie einem Obdachlosen (damals nannte man solche Leute faules Gesindel), dann gehen sie zu den Kindern im Waisenhaus, und schließlich besuchen sie eine einsame alte Dame, die am Heiligabend ein bißchen Gesellschaft haben möchte. Die geheimnisvolle Frau fragt Tom Thornton, was er sich zu Weihnachten wünsche, und er sagt, er möchte seine Frau zurückhaben. Sie geht mit ihm zu einem Springbrunnen auf einem Platz und fordert ihn auf, er solle ins Wasser blicken, dort würde er sehen, was er suche. Als er ins Wasser schaut, sieht er das Gesicht seiner kleinen Tochter und fängt an zu weinen. Während er schluchzt, verschwindet die geheimnisvolle Frau; Tom Thornton sucht nach ihr, kann sie aber nirgendwo finden. Endlich schlägt er den Weg nach Hause ein und denkt über das nach, was er an dem Abend gelernt hat. Er geht in das Zimmer seiner Tochter, und beim Anblick des schlafenden Mädchens begreift er, daß sie das einzige ist, was ihm von seiner Frau geblieben ist. Wieder steigen die Tränen in ihm auf, weil er weiß, daß er ihr kein besonders guter Vater gewesen ist. Am nächsten Morgen steht, wie durch ein Wunder, die Spieldose unter dem Baum, und der geschnitzte Engel auf dem Deckel sieht genauso aus wie die Frau, der er am Abend zuvor begegnet war. Das Stück ist also gar nicht so übel. Man muß sogar sagen, daß die Zuschauer bei der Aufführung jedesmal massenhaft Tränen vergießen. Das Stück ist jedes Jahr ausverkauft, und weil es so beliebt ist, mußte Hegbert es schließlich im Beaufort Playhouse aufführen statt in der Kirche, weil das viel mehr Plätze hat. Als ich in meinem letzten Schuljahr in der High School war, wurde das Stück jedes Jahr zweimal vor ausverkauftem Haus gespielt, was, wenn man bedenkt, daß es von Laien aufgeführt wurde, ein richtiger Erfolg war.
    Hegbert wollte nämlich, daß das Stück von jungen Leuten gespielt wurde, und zwar von der Abschlußklasse, und nicht von den Schauspielern am Theater. Vermutlich dachte er, es würde den Schülern das Rückgrat stärken, bevor sie aufs College gingen und es mit all den Unzuchttreibenden zu tun bekamen. So einer war er nämlich: Er wollte einen immer vor der Versuchung bewahren. Wir sollten lernen, daß Gott über einen wacht, selbst wenn man fern von zu Hause ist, und daß sich alles zum Guten wendet, wenn man auf Gott vertraut. Ich lernte diese Lektion zu guter Letzt auch, allerdings nicht von Hegbert.
    Wie schon gesagt, Beaufort ist eine ziemlich typische Südstaatenstadt, jedoch eine mit einer interessanten Geschichte. Blackbeard, der Pirat, hat hier einmal ein Haus gehabt, und
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