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Zeit im Wind

Zeit im Wind

Titel: Zeit im Wind
Autoren: Nicholas Sparks
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durchaus begründet. Die Bank war nicht das einzige Gebäude, das je unter mysteriösen Umständen abbrannte.
    Die Zinsen, die mein Großvater erhob, waren ungeheuerlich, und nach und nach häufte er Land und Besitz an, weil seine Kunden die Darlehen nicht zurückzahlen konnten. Als die Depression ihren Höhepunkt erreichte, erwarb er durch Zwangsvollstreckung eine Vielzahl von Unternehmen und ließ die ehemaligen Eigentümer für sich arbeiten, und zwar für einen Hungerlohn, denn sie waren in einer Zwangslage und konnten nicht weg. Er sagte, daß er ihnen ihre Geschäfte wieder zurückverkaufen würde, wenn die Wirtschaft sich erholte, und die Leute glaubten ihm.
    Aber nicht ein einziges Mal hielt er sein Versprechen. Am Schluß kontrollierte er einen enormen Teil der Wirtschaft des Bezirks und mißbrauchte seine Macht in jeder nur erdenklichen Weise.
    Ich würde ja gern erzählen, daß er ein schreckliches Ende gefunden hat, aber das war nicht der Fall. Er starb mit achtundneunzig beim Beischlaf mit seiner Geliebten auf seiner Jacht vor den Cayman Islands. Er sollte also seine beiden Frauen und seinen einzigen Sohn überleben. Was für ein Ende für einen Mann wie ihn, was? Das Leben ist niemals gerecht, das habe ich gelernt. Wenn man Schülern überhaupt etwas beibringen will, dann das.
    Um wieder auf die Geschichte zurückzukommen… Als Hegbert erkannte, was für ein gemeiner Hund mein Großvater war, hörte er auf, für ihn zu arbeiten, und wurde Pfarrer, dann kam er wieder nach Beaufort und übernahm die Pfarrstelle an der Kirche, in die wir immer gingen. In den ersten Jahren perfektionierte er seinen Feuer-und-Schwefel-Auftritt mit Predigten, in denen er die Gierigen geißelte, so daß er kaum Zeit für igendwas anderes hatte. Er war schon dreiundvierzig, als er heiratete, und fünfundfünfzig, als seine Tochter Jamie Sullivan geboren wurde. Seine Frau, die klein und zierlich und zwanzig Jahre jünger war als er, erlitt sechs Fehlgeburten, bevor Jamie zur Welt kam, und dann starb sie bei der Geburt, wodurch Hegbert Witwer wurde und seine Tochter allein aufziehen mußte.
    Das erklärt die Geschichte von dem Theaterstück.
    Die Leute kannten sie schon, bevor das Stück aufgeführt wurde. Es war eine von den Geschichten, die jedesmal die Runde machte, wenn Hegbert zu einer Kindstaufe oder einer Beerdigung gerufen wurde. Jeder kannte sie, und deswegen, glaube ich, waren die Leute auch so aufgewühlt, wenn sie das Weihnachtsstück sahen. Sie wußten, daß ihm eine Geschichte aus dem wahren Leben zugrunde lag, wodurch es eine spezielle Bedeutung bekam.
    Jamie Sullivan, Hegberts Tochter, die wie ich die Abschlußklasse der High School besuchte, war ausgesucht worden, den Engel zu spielen. Nicht, daß jemand anders wirklich in Frage gekommen wäre. Natürlich bekam das Stück dadurch in dem Jahr eine ganz besondere Note. Es würde ein ganz großes Ereignis werden - vielleicht das größte aller Zeiten -, so dachte zumindest Miss Garber. Sie war die Schauspiel-Lehrerin, und der Gedanke daran ließ sie schon in der ersten Stunde erstrahlen, die ich in ihrer Klasse war.
    Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, in dem Jahr den Schauspielkurs zu machen, wirklich nicht, aber entweder nahm ich Schauspiel oder Chemie II. Und ich dachte natürlich, daß es eine bequeme Lösung sein würde, besonders im Vergleich mit der Alternative. Keine schriftlichen Arbeiten, keine Prüfungen, keine Tabellen mit Protonen und Neutronen, die man auswendig zu lernen hatte, und kein Periodensystem mit Elementen, die man richtig zusammensetzen mußte - was konnte man sich als Schüler der Abschlußklasse Besseres wünschen? Als ich mich eintrug, schien die Sache schon geritzt. Ich war überzeugt, daß ich die meisten Stunden ruhig schlummernd verbringen könnte, und in Anbetracht meiner späten Abende beim Erdnußessen draußen war das ein ziemlich wichtiger Gesichtspunkt.
    Am ersten Tag des Kurses kam ich als einer der letzten kurz vor dem Klingeln in das Klassenzimmer und setzte Rücken zugewandt und schrieb ihren Namen in großer Schrägschrift an die Tafel. Als ob wir nicht wüßten, wer sie war. Jeder kannte sie - man kam nicht drum herum, sie zu kennen. Sie war groß, bestimmt einsfünfundachtzig, hatte flammend rotes Haar und blasse Haut, auf der man ihre Sommersprossen sah, obwohl sie weit über vierzig war. Außerdem war sie übergewichtig - ich schätze, sie wog so um die hundertzwanzig Kilo - und trug mit Vorliebe lose,
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