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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten
Autoren: Kitty Sewell
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ist das Geld der kablunait«, sagte sie und lächelte nun selbst.
    »Um Himmels willen«, lachte er. »Setz dich. Es geht mich nichts an, aber erzähl mir trotzdem alles darüber.«
    Sie holte eine Kanne Tee und einen Teller mit Sandwiches, und nachdem sie auf dem Sofa Platz genommen hatte, beantwortete sie seine Fragen über ihren wachsenden Erfolg. Der weiße Mann kaufte immer mehr von Uyarasuqs Werken. Zwei Galerien in Vancouver und Toronto rissen sich um ihre Schnitzereien. Während der Wintermonate arbeitete sie im Haus ihres Vaters, das inzwischen zu einem Atelier umgebaut worden war. Im Sommer fertigte sie größere Schnitzereien auf einer Betonplattform. Dabei halfen ihr Charlie und zwei andere junge Männer. Eine kleine, aber vielversprechende Galerie in New York hatte ihr eine Einzelausstellung angeboten, doch Charlie brauchte sie noch immer viel zu sehr, als dass sie ihn der Obhut von Freunden überlassen mochte.
    Charlie, der sich auf einen Sitzsack hatte fallen lassen und bis dahin nur zugehört hatte, meldete Protest an. »Also Mom, das ist unfair. Ich brauche dich nicht. Ich habe dir unzählige Male gesagt, dass New York wichtiger ist als mein blödes Bein.« Er klopfte mit den Knöcheln auf sein bionisches Bein, um seine Widerstandsfähigkeit und Selbständigkeit zu demonstrieren.
    Dafydd schaute zu Charlie hinüber. »Wenn die Ausstellung so wichtig ist, könnte ich hier bei dir bleiben. Oder wir könnten alle hinfahren.« Er merkte, wie anmaßend das klang, und wandte sich Uyarasuq zu. »Falls dir das in irgendeiner Weise hilft.«
    Der Junge verdrehte ärgerlich die Augen. »Sie hat’s schon vermasselt und abgesagt.«
    »Ach, nun lass mal«, wiegelte Uyarasuq ab. »Es wird noch andere Ausstellungen geben. Was soll die Eile? Ich komme sowieso kaum noch nach. Schnitzen braucht seine Zeit, und von jeder Arbeit gibt es immer nur ein Exemplar.«
    Charlies Frustration war offensichtlich. Er warf Dafydd einen um Unterstützung bittenden Blick zu. »Meine Mom hat Angst vor der Technik. Es gibt erstaunliche Maschinen zu kaufen – Drucklufthämmer, Hochgeschwindigkeitssandstrahlgebläse, Bohrer, elektrische Schnitzmesser –, aber Mom besteht auf den altmodischen Methoden. Wenn ich die schwierigen Verfahren erlernt habe, werde ich es anders machen. Ich besorg mir die richtige Ausrüstung, die mit meinen Ideen Schritt halten kann.«
    »Aha«, erwiderte Dafydd in dem Bemühen, nicht Partei zu ergreifen.
    »Ich hab nämlich viele Ideen.«
    »Darüber würde ich gern mehr erfahren.« Dafydd musterte den jungen Mann, seinen Sohn, und versuchte, seine Sehnsucht und seine Begeisterung über das Kind zu ermessen, dessen Geburt er für unmöglich gehalten hatte. Doch nun saß er vor ihm, und Dafydds Stempel war unverkennbar. Charlie sah ihn noch immer erwartungsvoll und in der Hoffnung an, dass er die Notwendigkeit des Einsatzes von technischen Geräten bestätigte. Dafydd merkte, wie sehr der Junge das Gleichgewicht zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen brauchte. Dieser Ausgleich hatte ihm selbst gefehlt, als er mit seiner verwitweten Mutter und seiner Schwester aufwuchs. Marks gehetzte Miene tauchte vor ihm auf. Ein weiterer vaterloser Junge, doch welch ein Unterschied zwischen diesem tapferen, dynamischen jungen Mann, der fest entschlossen war, zu überleben und aufzuwachsen und erfolgreich zu werden, und Sheilas glücklosem Sohn mit seiner »Was soll’s«-Haltung.
    Plötzlich hatte er Gewissensbisse wegen seiner Genugtuung über Charlie. Die Verantwortung, Zuneigung und das Mitgefühl, die er Mark und Miranda gegenüber noch immer empfand, ließen erneut seinen Zorn auf Sheila aufflammen. Es war ein kurzes inneres Flackern, und unwillkürlich ballten sich seine Fäuste. Aber seine Wut verebbte rasch, als ihm klar wurde, dass er diese erstaunliche Entdeckung ihren bösen Machenschaften verdankte.
    Charlie neigte den Kopf und betrachtete Dafydd mit verengten Augen. Er wunderte sich sichtlich über die Gefühle, die über das Gesicht seines Vaters zuckten. Dann lächelte er, weil er offenbar zu seinen eigenen Schlussfolgerungen gelangt war. »Ihr habt euch bestimmt ’ne Menge zu erzählen. Und ich muss sowieso noch einiges erledigen.«
    »Nein. Geh nicht«, sagte Dafydd und verfluchte sich wegen seiner mangelnden Konzentration. »Ich möchte dich fragen … Ich will alles über dich wissen.«
    »Keine Sorge, Mann«, erwiderte Charlie. »Wenn ich erst mal loslege, wirst du dir wünschen, du hättest das nie
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