Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten
Autoren: Kitty Sewell
Vom Netzwerk:
Letzteres. Auch wenn ihre Vorführung recht beeindruckend wirkte, waren die beiden doch eindeutig zu alt für solch eine Tätigkeit. Zudem hatten sie außerordentlich ausladende Hinterteile und riesige Schenkel und waren betrunken. Trotzdem drängten sich Dutzende von Männern um sie, gafften sie begehrlich an und applaudierten.
    »Verzeihen Sie, Mr Sharkie. Kann ich Sie eine Minute sprechen?«
    Baptiste Sharkie drehte langsam den Kopf. Seine Augen versuchten, Dafydd ins Visier zu nehmen, aber sie waren eindeutig nicht dazu in der Lage, weshalb er sie schloss. »Worum geht’s?«
    »Können Sie mich morgen nach Black River fliegen?«
    »Scheiße! Das ist ganz schön weit«, meinte Baptiste und seufzte ergeben. »Wie viel Uhr?«
    »Je früher, desto besser«, antwortete Dafydd mit wachsendem Optimismus. »Sofern Sie sich bis zum Morgen erholt haben.«
    Die Zwillinge waren in einem Zimmer direkt neben Dafydds untergebracht. Er verließ sie um neun Uhr am nächsten Morgen. Sie spielten mit Tillie Scrabble auf ihrem Küchentisch, umgeben von den Überresten eines ausgiebigen Frühstücks. Keiner von ihnen schien über sein Weggehen betrübt zu sein; sie blickten von ihrem konzentrierten Spiel kaum auf.
    »Hör mal, Mark«, sagte er und zog den Jungen am Ärmel seines Sweaters. »Darf ich dich daran erinnern, dass Hogg heute Abend hierherkommt. Er will euch nur sehen und mit euch sprechen. Ein paar Dinge klären. Du weißt, dass ihr noch keine Entscheidung treffen müsst. Wie gesagt, könnt ihr so lange hierbleiben, wie ihr wollt.«
    »Also, ich bin nicht bereit«, sagte Miranda gereizt. »Ich will hier bei Tillie bleiben. Mich erholen und so …«
    »Mark?« Dafydd packte die Schulter des Jungen und schüttelte ihn leicht. »Bist du damit einverstanden?«
    Mark schaute Dafydd in die Augen. »Ob ich EINVERSTANDEN bin? Du machst wohl Witze. Weil wir Kinder sind, werden wir einfach von Erwachsenen herumgeschubst. Wenigstens ist meine beschissene Mutter weg. Eine weg …«, meinte er in eisigem Ton und blickte sich um, »… und zehntausend müssen noch erledigt werden.«
    »Lass sie hier … vorläufig «, sagte Tillie mit Nachdruck und wich Dafydds Augen aus.
    Mark wandte sich zu ihr und sagte leise: »Tillie, dich hab ich nicht gemeint. Okay?«
    Die beiden tauschten einen verschwörerischen Blick aus, und es freute Dafydd, dass Mark gegenüber einem anderen menschlichen Wesen außer seiner Schwester zu echter Wärme imstande war. Wenn Ians Diagnose stimmte, dass Sheila eine Psychopathin war, dann konnte ihre Entfernung ein Segen für die Kinder sein, obwohl sich nicht abschätzen ließ, welchen Schaden sie ihnen bereits zugefügt hatte.
    Auch Tillie bot die Anwesenheit der Kinder zweifellos Vorteile: eine willkommene Unterbrechung ihrer Einsamkeit. Die drei schienen sich trotzig aneinanderzuklammern. Er betrachtete sie mit einer plötzlichen Zärtlichkeit. Sie waren höchst unglückliche Außenseiter, ausgestoßen und abgetrennt von jedem normalen Familienleben. Aber die Kinder besaßen eine innere Stärke. Schon wenige Stunden nach der scheußlichen Szene mit ihrer Mutter hatten sie wieder normal geplaudert und eine stattliche, von Tillie zubereitete Mahlzeit verdrückt. Sie wussten bereits alles über Ians Selbstmord, die Verbrechen ihrer Mutter und Hoggs inzwischen eingereichtem Rücktritt. Außerdem wussten sie, dass er ihr wirklicher Vater war und die Vormundschaft für sie beantragt hatte.
    Und Tillie, die ihre Existenz um ihr Unternehmen und das Bedürfnis aufgebaut hatte, sich vor den Gelüsten von Schürzenjägern zu schützen? Sie war eine echte Vertreterin des Nordens, stark, dynamisch und mit ihrer harten Arbeit verbunden, aber trotzdem noch eine Frau. Er dachte reumütig daran, wie schroff er ihren Versuch, ihn zu verführen, zurückgewiesen hatte. So hatte er sie nicht behandeln wollen, aber er war zu entrückt gewesen, um in der Lage zu sein, behutsam vorzugehen.
    »Danke, Tillie.« Impulsiv ging er zu ihr und drückte ihr die Lippen kräftig auf die Stirn. Ihre Augen trafen sich für einen Moment. Er trat zu Miranda, die ihm ihre Wange zum Kuss darbot, ohne die Augen von den Buchstaben abzuwenden. Schließlich umarmte er noch rasch Marks schlaff herabhängende Schultern, und schon war er unterwegs zu dem Treffen, das ihn während seiner schlaflosen Nacht beschäftigt hatte.
    Baptiste wartete wie versprochen im Northern auf Dafydd. Seine Augen waren glasig, und aus jeder Pore seines Körpers sickerte der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher