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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten
Autoren: Kitty Sewell
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ihre benommen dasitzende Mutter mit weiteren Beschimpfungen und bösen Vorwürfen überschüttete, ging Dafydd rasch zum Telefon draußen in der Halle.
    »Tillie, es ist etwas sehr Schlimmes geschehen«, flüsterte er, sobald sie sich gemeldet hatte. »Hörst du mich? Kannst du für ein paar Tage zwei weitere Gäste beherbergen? Zwei sehr sensible und verletzliche Gäste … Wunderbar. Danke, Tillie. Wir werden in ungefähr einer halben Stunde da sein.«

KAPITEL
22
    D AFYDD STAND AN der Straße und sah zu, wie sich die Hundeschlittenführer für das Fünfzehn-Meilen-Rennen bereit machten. Es war eine ernste Angelegenheit, für die sie monatelang trainierten. Die Hunde waren schöne, robuste Geschöpfe, aber sie machten einen ohrenbetäubenden Lärm.
    Von Zeit zu Zeit ging er an den versammelten Menschen entlang und suchte nach dem Gesicht des Mannes, dem er nur einmal begegnet war. Es handelte sich um einen Eingeborenen aus Britisch-Kolumbien namens Baptiste Sharkie, Besitzer und Pilot einer viersitzigen Cherokee, der bereit war, Passagiere für einen angemessenen Preis fast überallhin zu fliegen, wo man landen konnte. Dafydd hatte ihn nur einmal kurz in der Sprechstunde empfangen, als er sich ein neues Rezept verschreiben ließ. Er war groß und breitschultrig und etwa in Dafydds Alter, rund fünfundvierzig, mit einem herben Indianergesicht und einem breiten Mund, der selten zu lächeln schien.
    Die Menschen hatten sich warm gegen die Kälte eingehüllt, und da die Mittagszeit vorüber war, verdunkelte sich der Himmel rasch. Mit einem Höllenlärm von Hunden wie Menschen und unter dem Knallen einer lauten Waffe startete das erste Team, dem in rascher Folge weitere hinterherjagten, jedes von den gleichen dissonanten Tönen begleitet. Dafydd schritt an den Zuschauern vorbei und versuchte, ihre von den zugeknöpften Parkakapuzen verdeckten Gesichter zu erkennen. Da es ihm nicht gelang, Sharkie ausfindig zu machen, ging er zum Sportplatz neben dem Sportzentrum. Dort hatte gerade ein Mehlsackrennen begonnen, ein eigentümlicher Sport, bei dem kräftig gebaute Wettkämpfer Mehlsäcke auf dem Rücken trugen. Sie begannen mit 450 Pfund. Sofort vergaß er sein Vorhaben, als er mit Erstaunen beobachtete, wie ein Mann unter Säcken mit 720 Pfund Mehl, die hoch auf seinem Rücken aufgetürmt waren, vorwärtsschwankte.
    »Aber hallo, mein junger Herr Doktor!«, rief Martha Kusugaq über die Jubelschreie der Menge hinweg. »In der nächsten Runde wette ich auf Sie. Sie sind ein herrliches Mannsbild, kräftig und gesund. Ich werd ein paar Dollar auf Sie setzen.« Sie betrachtete ihn von oben bis unten. Offenbar hatte sie sich ein paar Drinks genehmigt.
    »Sie sitzen heute nicht im Büro, Martha?«, fragte Dafydd tadelnd. »Und ich hab gedacht, Sie seien solch ein Arbeitstier.«
    »Nee«, lachte Martha. »Es ist Weihnachten. Mein Angetrauter vertritt mich ausnahmsweise. Der ist zu schlaff. Er wird faul, während ich mich abrackere. Offenbar mach ich immer was falsch.« Sie rülpste laut.
    »Martha, Sie haben nicht zufällig einen Knaben namens Baptiste Sharkie aus Fort St. John gesehen, den großen Kerl mit der Cherokee?«
    »Klar hab ich ihn gesehen, mein Goldjunge. Was ist los … Müssen Sie weg?«
    »Ja, genau.«
    »Dann nehmen Sie doch den Buick, den ich Ihnen gegeben habe. Mit dem ist alles in Ordnung.«
    »Zu dem Ort, an den ich will, führen keine Straßen.«
    »Na, verdammt, warum sagen Sie das nicht gleich«, scherzte sie. »Als ich den Piloten-Kerl zuletzt gesehen habe, war er im Bear’s Lair. Aber passen Sie auf, er hatte schon einiges intus.«
    Dafydd verabschiedete sich, und Martha rief hinter ihm her: »He, wolln Sie nicht gemeinsam mit mir am Stammsägewettbewerb teilnehmen? Ich bin mächtig stark.« Er antwortete ihr mit einem Lächeln. Angesichts ihres kleinen, stämmigen Körpers, der mit gespreizten Beinen fest auf dem Boden stand, bezweifelte er ihre Kraft nicht für eine Sekunde. »Aber mit den Händen da ist nicht viel anzufangen, abgesehen davon, dass sie Sie an Unfug hindern werden«, kicherte sie rüde und wies die Umstehenden auf seine bandagierten Finger hin.
    Er fand den Mann, den er suchte, tatsächlich im Bear’s Lair. Er saß verdrossen an einem Tisch und beobachtete zwei Frauen in Rüschenkleidern und Netzstrümpfen, die auf einem Tisch einen Cancan tanzten. Dafydd war sich nicht sicher, ob es sich um angestellte Tänzerinnen oder Kundinnen handelte, aber bei genauerem Hinsehen tippte er auf
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