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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens
Autoren: Cecelia Ahern
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Jessica-Becher.
    »Die längsten sechs Monate meines Lebens«, spottete sie. »Na gut, dann nimm noch was von dem braunen Zucker«, sagte sie mit schlechtem Gewissen, schaufelte einen gehäuften Löffel aus der Tüte und versenkte ihn in seinem Becher.
    »Braunes Brot, brauner Reis, braunes dies, braunes jenes. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, da war mein Leben bunt.«
    »Ich wette, du erinnerst dich auch an eine Zeit, als du {16 } deine Füße sehen konntest, wenn du an dir runtergeschaut hast«, konterte sie, ohne eine Sekunde nachzudenken.
    Damit der Zucker sich vollständig auflöste, musste sie so heftig rühren, dass die Flüssigkeit im Zentrum des Bechers einen Wirbel bildete. Sieht aus wie ein Eingang in eine andere Welt, dachte Raphie und überlegte, wohin diese Pforte wohl führte und was man erleben würde, wenn man sich in den Becher stürzte.
    »Wenn du davon stirbst, gib mir nicht die Schuld daran«, sagte sie und schob ihm den Becher zu.
    »Wenn ich sterbe, werde ich dich heimsuchen bis an dein Lebensende.«
    Sie lächelte, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht, sondern erstarb irgendwo zwischen Lippen und Nasenrücken.
    Raphie beobachtete, wie sich die Pforte in seinem Becher langsam wieder schloss und seine Chance, in eine andere Welt zu fliehen, ebenso rasch verschwand wie der Dampf, der von dem heißen Getränk aufstieg und sich umgehend in Luft auflöste. Ja, es war ein schlimmer Morgen gewesen. Kein Morgen, der zum Lächeln animierte. Vielleicht zu einem Halblächeln. Er konnte es nicht sagen.
    Raphie gab Jessica ihren Kaffee – schwarz, ohne Zucker, wie sie ihn mochte –, und dann lehnten beide, einander gegenüber, an der Anrichte und bliesen auf ihren Kaffee, die Füße sicher geerdet auf dem Boden, in Gedanken aber irgendwo weit weg.
    Er studierte Jessica, wie sie, die Hände um den Becher gelegt, in ihren Kaffee starrte, als wäre er eine Kristallkugel. Wie sehr er sich das wünschte, wie sehr er sich wünschte, sie würde die Gabe des Hellsehens besitzen, denn dann könnten sie manche Dinge, deren Zeuge sie wurden, vielleicht {17 } verhindern. Jessicas Wangen waren blass, und ihre leicht geröteten Augen waren das Einzige, das noch verriet, was für einen Morgen sie hinter sich hatten.
    »Das war ziemlich heftig heute früh, was?«
    Die mandelförmigen Augen schimmerten, aber dann riss Jessica sich schnell wieder zusammen, und ihr Gesicht verhärtete sich. Statt einer Antwort nickte sie nur und trank einen Schluck Kaffee. An ihrer Grimasse konnte Raphie erkennen, dass das Gebräu offensichtlich zu heiß gewesen war, aber wie zum Trotz nippte sie gleich noch einmal. Sogar ihrem Kaffee zeigte sie, wer hier der Stärkere war.
    »Als ich das erste Mal an Weihnachten Dienst hatte, habe ich die ganze Schicht über mit dem Sergeant Schach gespielt.«
    Endlich sagte sie etwas. »Du Glückspilz.«
    »Ja«, nickte er und verharrte einen Moment in der Erinnerung. »Damals habe ich das allerdings nicht so gesehen. Es sollte immer möglichst viel los sein.«
    Vierzig Jahre später hatte er bekommen, was er wollte, und jetzt hätte er die Annahme gern verweigert. Das Paket umgetauscht. Seine Zeit ersetzt bekommen.
    »Hast du gewonnen?«
    Mit einem Ruck erwachte er aus seiner Trance. »Was hab ich gewonnen?«
    »Beim Schach.«
    »Nein«, lachte er. »Ich hab den Sergeant gewinnen lassen.«
    Jessica rümpfte die Nase. »Ich würde dich nie gewinnen lassen.«
    »Daran zweifle ich keine Sekunde.«
    Da der heiße Kaffee inzwischen trinkbar sein musste, nahm Raphie einen Schluck, griff sich dann aber an den {18 } Hals, hustete und würgte theatralisch, als würde er abkratzen – obwohl ihm gleich darauf klarwurde, dass sein Versuch, so die Stimmung aufzuheitern, geschmacklos war.
    Jessica zog denn auch nur eine Augenbraue hoch, würdigte seine Faxen keines Kommentars und nippte weiter an ihrem Becher.
    Er lachte trotzdem. Danach trat wieder Stille ein.
    »Du wirst es überstehen«, sagte er schließlich. Es sollte nett und beruhigend klingen.
    Aber sie nickte und antwortete barsch, als wüsste sie das längst: »Japp. Hast du Mary angerufen?«
    »Hab ich, sofort. Sie ist bei ihrer Schwester.« Eine den Feiertagen angemessene Lüge, eine freundliche Weihnachtsausrede. »Und du? Hast du auch jemanden angerufen?«
    Erneut ein Nicken, doch sie wandte den Blick ab, fügte nichts hinzu, ging nicht in die Details. Das tat sie nie. »Hast du äh … hast du ihr davon erzählt?«, fragte sie
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