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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod
Autoren: Petra Busch
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sagt Mama.
    Uwe nickt. »Wir müssen uns endlich verantworten.«
    »Ich habe Annikas Gedenkstein weggeräumt.«
    Wieder nickt Uwe.
    »Hast du Angst vor dem Urteil?«
    »Nein.«
    »Günther auch nicht. Was soll schon passieren? Kein Geld der Welt und kein Gefängnis auf Bewährung kann so schlimm sein wie die letzten zwanzig Jahre mit dieser Last.«
    »Edith ist die Einzige, die juristisch nichts zu befürchten gehabt hätte.« Er senkt den Kopf und reibt sich mit den Händen über das Gesicht. »Und jetzt …«
    Bei Beccis zweitem Besuch hat Papa gesagt, dass Edith Berger tot ist. Das hat sie ja schon gewusst. Aber sie hat nicht gewusst, dass das Papa so aufgeregt hat. Er ist ganz rot geworden, als er davon gesprochen hat, ist im Zimmer umhergelaufen wie früher in ihrem Haus, wenn er seine Texte gelernt hat. Dann ist er am Fenster stehen geblieben. Auch Becci hat hinausgesehen, aber nichts erkannt. Man sieht da eigentlich nie etwas, nur die Füße von den Leuten, die vorbeilaufen. Es ist ein Souterrain-Zimmer und dunkel. Aber Papa hat die hübsche Lampe mit den Perlenschnüren mitgenommen. Auch die Chaiselongue ist dort, die in seinem Arbeitszimmer war. Wenn Becci darauf herumspringt, knarrt und quietscht sie. An der Wand hängt ein Foto von Annika und daneben eines von Marius. Annika sieht aus wie ich in kleiner, hat Becci gedacht und von dem Foto auf ihr eigenes Gesicht und noch einmal auf das Foto gezeigt, und Papa hat sie wieder herumgewirbelt und gerufen: »Aber du bist ein Blauauge, und Annika war ein Goldauge.«
    Der Hase macht Männchen und legt seine Vorderpfoten auf ihre Schenkel. Sie nimmt ihn auf den Schoß. Ein zweiter Hase hoppelt herbei. Sie hat ihn vorhin gar nicht gesehen, er ist ganz schwarz. Sie setzt den braunen zu dem schwarzen Hasen, und sie tollen herum. Bestimmt Bruder und Schwester.
    An dem Tag, als Papa so rot geworden ist vor Wut, hat er auch erzählt, dass Edith Berger nach der Beerdigung zu ihm gekommen ist. Dabei hat er ihre Stimme nachgemacht, überdreht und verheult: »Bitte, Günther, wirf mich nicht weg! Ich konnte nicht zur Beerdigung kommen, das hätte ich Lene nicht antun können! Sieh mich an, bitte, nur noch ein Mal.« Und dann hat Papa sie angebrüllt: »Hau ab! Du hast mich zerstört! Du ekelst mich an, dein Körper und deine Lügen, ich sei gut! Ich habe zwei Kinder verloren, und du kommst hierher und …!« – »Bin ich denn ein Nichts?«, hat Papa wieder die weinerliche Stimme nachgemacht. »War meine Liebe also nur Illusion? Dann sag’s mir, sag es, Günther, ich bitte dich!« Und Papa hat gebrüllt: »Lass dich hier nie wieder blicken! Nie!«
    Becci hat auf der Chaiselongue gesessen und sich die Faust auf den Mund gepresst. Da hat Papa sie in die Arme geschlossen. »Entschuldige, mein Engel.« Sie hat geschnieft, und er hat dann noch gesagt, dass er hier am Fenster gestanden hat, und das Letzte, was er von Edith Berger sah, waren ein blauer Rocksaum und silbergraue Pumps mit halbhohen Absätzen. Am nächsten Morgen war sie tot. Sie hat sich an einer Birke erhängt. Bei dem Wohnwagen, in dem Marius und sie gefangen waren. Ein Bauer, der seinen Acker gepflügt hat, hat sie gefunden.
    »Becci«, ruft Mama von der Bank aus. »Becci?«
    Sie läuft zu der Terrasse. Die Sonne steht jetzt tiefer, und die weißen Stücke zwischen den Fachwerkbalken leuchten rötlich.
    »Aua, aua.«
    »Warum ruft er immer aua?«, fragt Mama Uwe, streicht Becci über die Haare, und sie trinkt im Stehen Mamas Glas leer. Der Apfelsaft schmeckt super. »Nicht vergessen!« Mama tippt auf ihren Bauch, wo die Insulinpumpe hängt. Selber, selber, denkt sie und tippt auf Mamas Bauch. Mama lächelt.
    »Cockoo kommt aus einem Tiergeschäft, das wegen katastrophalen Haltungsbedingungen geschlossen werden sollte. Die Vögel waren komplett verwahrlost, kahl und dehydriert. Sie sollten eingeschläfert werden. Ich hatte zufällig davon gelesen.« Er zeigt zur Voliere. Jetzt versteht Becci. »Ich weiß nicht, woher Cockoo kommt und was er schon erlebt hat.«
    Becci klatscht, und Uwe setzt den Kakadu auf ihre Schulter. Seine großen schwarzen Krallen bohren sich durch den dünnen Stoff des Kleides, aber es tut nur ein bisschen weh. Wahrscheinlich hat Cockoo damals auch schlimme Träume gehabt, so wie Becci im Krankenhaus und danach. Sie ist oft aufgewacht, vor allem, wenn Krähen vor ihrem Fenster geschrien haben, oder neulich, als der Sattelschlepper durch ihre Straße gefahren ist und so ähnlich gestampft hat
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