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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen
Autoren: Klaus Seibel
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doch nicht im Ernst, dass wir auf so einen Blödsinn eingehen.«
    Sina fuhr sich mit einer Hand durch ihre roten Stoppelhaare. »Ja, man könnte ihn für einen abgedrehten Spinner halten, wenn …«
    »Wenn da nicht die Bombe gewesen wäre. Ich weiß. Wahrscheinlich hat er sie deshalb gezündet, damit wir ihn ernst nehmen.«
    »Womit die seltsame Art der Paketzustellung erklärt wäre.«
    Ellen nickte. »Ein Spinner bleibt er, aber dumm ist er nicht. War noch mehr auf der CD?«
    »Nur das Anwendungsprogramm, von dem der Brief spricht. Das wird im Moment analysiert.«
    »Und was war sonst in dem Paket?«
    »Vier Webcams, originalverpackt, und Styropor-Chips als Füllmaterial.«
    »Nicht gerade üppige Spuren.« Ellen hielt den Brief noch in der Hand. »Keine Papieruntersuchung, keine Handschriftenanalyse, keine ausgeschnittenen Worte mit Spuren von Kleber, nur ein paar Bytes auf einer CD.«
    »Wir werden etwas finden. Ich werde jedes Molekül untersuchen. Das verspreche ich dir.«
    Kriminaldirektor Kurt Brahe wunderte sich nur so lange über Ellens Erscheinen, bis er den Brief des Erpressers gelesen hatte.
    »Ich dachte, ich hätte in den vierzig Jahren meines Dienstes schon alles erlebt, was passieren kann. Ich habe mich getäuscht. Das hier ist wirklich ungewöhnlich. Keine Forderung nach Geld, kein politisches Manifest, aber auch kein wirrer Geist. Der ganze Stil klingt nach einem intelligenten Täter, der genau weiß, was er will. Er will Öffentlichkeit, das ist klar. Aber wofür?«
    »Das wissen wir noch nicht, aber es bedeutet, dass der eigentliche Knaller noch kommt«, sagte Ellen.
    »Ich hätte es anders ausgedrückt, aber es trifft die Sache.«
    »Geben wir ihm diese Öffentlichkeit?«
    » Sie haben das Kommando. Was meinen Sie?«
    »Ich bin nicht bereit, ihm die Öffentlichkeit zu geben. Unsere Ermittlungen gehen niemanden etwas an, und Erpresser erst recht nicht. Ich werde nur so weit auf Forderungen eingehen, wie es unbedingt nötig ist.«
    »Was wollen Sie tun?«
    »Ich werde den psychologischen Dienst einschalten, um den Brief zu analysieren. Einige Beamte sollen die Nachbarschaft des Tatorts abklappern, mögliche Zeugen suchen und sich die Aufnahmen der Überwachungskameras der Umgebung ansehen – falls es in dieser Straße welche gibt. Ansonsten müssen wir den Bericht der KTU abwarten.«
    Brahe nickte. »Gut. Tun Sie das.«
    Ellen wandte sich zur Tür, doch Brahe hielt sie zurück. Er wirkte besorgt, nicht so gelassen wie sonst. »Frau Faber, eine Bitte noch.«
    »Ja?«
    »Seien Sie vorsichtig. Ich habe ein seltsames Gefühl im Magen, wie ich es schon lange nicht mehr hatte.«
    Den Weg zum Psychologischen Dienst war Ellen schon häufig gegangen, aber nie gerne. Nach schweren Einsätzen war für alle Mitglieder von SEK-Teams ein Gespräch mit dem Psychologischen Dienst Pflicht. Wollte man in Führungspositionen aufsteigen, wurde man umso mehr in die Mangel genommen. Die Ansprüche an das SEK waren hoch. Man konnte sich weder labile Persönlichkeiten noch Draufgänger leisten. Auch wenn Ellen die Notwendigkeit einsah, hasste sie es, sich innerlich vor jemand anderem auszuziehen. Entsprechend beliebt war sie beim Psychologischen Dienst. Die Abneigung lag auf beiden Seiten.
    Heute lag der Fall anders als sonst. Ellen ging nicht, weil sie musste. Heute brauchte sie den Dienst. »Marina Wirtz«, stand auf dem Schild an der Tür. Ellen klopfte nur kurz und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Marina Wirtz sah Ellen kritisch über ihre Brille hinweg an. Ihr gegenüber saß eine Beamtin, die Ellen nicht kannte.
    Marina Wirtz räusperte sich. »Es ist ja nett, dass es Sie ausnahmsweise freiwillig zu mir zieht, Frau Faber. Aber wie Sie sehen, bin ich gerade in einem Gespräch.«
    So schnell ließ Ellen sich nicht abschütteln. »Es ist äußerst wichtig. Ich brauche dringend eine Bewertung.«
    Sie ging an der sitzenden Beamtin vorbei und legte eine Kopie des Erpresserbriefs direkt vor Wirtz auf den Schreibtisch. Deren Gesichtszüge wurden steinern. Sie warf nur einen kurzen Blick auf das Blatt.
    »Ich werde mich melden.«
    »Ich brauche es bald.«
    »Ich werde mich melden«, wiederholte Marina Wirtz eisig. Von der einfühlsamen Art, die sie sonst an den Tag legte, war nichts zu spüren.
    Die Einsatzzentrale des LKA 632 war für unterschiedlichste Gefahrenlagen vorbereitet. Zwei riesige Monitore beherrschten die Frontseite. Einer zeigte standardmäßig einen großen Stadtplan von Berlin, der stufenlos
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