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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen
Autoren: Klaus Seibel
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zu trinken, war nicht einfach. Einige Tropfen liefen am Glas entlang und landeten auf ihrem Brustbein. Ehe sie sich versah, goss der Mann nach und hielt das Glas wieder an ihre Lippen. Sie konnte kein Wort sagen, bis auch dieses Glas leer war. Der Wein tat gut. In der Hitze und so ausgetrocknet, wie sie war, setzte seine Wirkung sofort ein.
    »Und jetzt?«, fragte Ellen.
    »Jetzt bekommst du den Schlüssel.«
    »Hast du keine Angst, dass ich dich verfolge?«
    »Nein.«
    Der Mann ging aus dem Zimmer und kam wenig später mit einem Gegenstand zurück. Er hatte ein Tuch darum gewickelt, sodass Ellen nicht erkennen konnte, was es war. Das Teil war nicht groß, denn es lag auf seiner flachen Hand, und schwer konnte es auch nicht sein. Mit einer schnellen Bewegung nahm der Mann das Tuch ab und legte den Gegenstand auf Ellens Bauch. Sie schrie auf.
    Der Unterschied zwischen ihrer überhitzten Haut und dem Eisblock war so extrem – der Erpresser hätte auch eine glühende Kohle auf sie legen können.
    Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Ellen, dass der Eisblock etwas enthielt: Mitten in dem bläulich schillernden Würfel befand sich ein Schlüssel.
    »Wenn der Schlüssel aufgetaut ist, kannst du die Handschellen selbst öffnen.«
    »Willst du mich solange hier liegen lassen?«
    »Entspann dich. Nach dieser Woche kannst du etwas Ruhe gebrauchen.« Der Mann stand auf.
    »Und wenn ich nicht will, dass du gehst?«
    Er sah sie durch die Maskenschlitze lange an. Er schien über etwas nachzudenken. Wurde er unsicher? Einen Moment lang glaubte Ellen, er würde sich wieder setzen, dann ging ein Ruck durch ihn. Er richtete sich gerade auf.
    »Dann ändert das nichts«, sagte er mit fester Stimme. »Bleiben ist gegen die Regeln.«
    Zuerst packte er die Weingläser und die Flasche, dann die Kameras ein. Zum Schluss drückte er Ellen den Eisblock mit dem Schlüssel in die Hand.
    »In der Küche ist noch eine Flasche Wein. Mach dir einen schönen Abend. Du wirst ungestört sein.«
    Der Mann nickte ihr kurz zu und verschwand durch die Tür. Wenig später hörte Ellen draußen das Geräusch eines Motorrollers. Wahrscheinlich hatte er ihn zwischen den Oleanderbüschen versteckt. Das Brummen wurde leiser, bis nichts mehr zu hören war.
    Der Mann war weg. Sie war ihm begegnet, dem Mann, der hinter der anonymen Software-Stimme steckte und der ihr Leben durcheinandergebracht hatte. Sie hatte Antworten bekommen – und doch war alles ganz anders gelaufen, als sie erhofft hatte.
    Der Eisblock wurde nur langsam kleiner. Ellen bewegte ihn in ihrer Hand, um den Prozess zu beschleunigen. Dabei achtete sie peinlich genau darauf, dass er ihr nicht aus der Hand rutschte. Ein kleines Rinnsal Wasser floss ihren Unterarm entlang. Endlich ertastete sie ein winziges Stück Metall, die Spitze des Schlüssels. Ellen rieb kräftiger. Fünf Minuten später war der Bart des Schlüssels frei.
    Endlich war es so weit. Ellen hielt den Schlüssel ohne Eis in der Hand. Nach einiger Fummelei gelang es ihr, die Handschellen zu öffnen. Sie erhob sich langsam und rieb ihre schmerzenden Handgelenke. Wie versprochen stand in der Küche eine zweite Flasche Rotwein. Daneben lag ein Baguette. Im Kühlschrank befand sich ein Päckchen Käse.
    Dieser Mann war der seltsamste Erpresser, dem sie jemals begegnet war.
    Ellen zog sich an und ging nach draußen vor die Finca. Dieses Mal war sie sicher, wirklich unbeobachtet zu sein. Die Strahlen der Abendsonne schienen auf ihre Haut. Die Luft war nicht mehr so drückend heiß. In der Ferne schimmerte das Meer.
    Sie sah den staubigen Weg entlang. Keine Spur, nichts. Diese Runde war an den Erpresser gegangen.
    Wir werden uns wiedersehen. Das schwöre ich dir.

Danksagung
     
    Zuerst möchte ich mich bei meiner Frau bedanken, die viele Stunden auf mich und meine Unterstützung verzichten musste, während ich an diesem Buch gearbeitet habe.
    Dann danke ich Lisa Kuppler für ihr kreatives und hilfreiches Lektorat. Durch sie haben manche Abschnitte noch mehr Farbe bekommen.
    Ich danke Fotografin Claudia Mohler, die es geschafft hat, ein gutes Autorenfoto von mir zu schießen, und zum Schluss Kirsten Roubal von »Das Buch« und Bianka Duckwitz von der Bücherei in Flörsheim stellvertretend für alle, die mich als engagierte Testleserinnen und Testleser durch ihre Meinungen und Ermutigungen unterstützt haben.
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