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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen
Autoren: Klaus Seibel
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und ein Zettel: »Beeilen Sie sich! Sie haben wenig Zeit.«
    Ellen überlegte nicht lange. »Rufen Sie ein Taxi. Schnell!«
    Sie kamen gut voran. So früh morgens waren die Straßen noch nicht verstopft. Auch am Flughafen Tegel hielt sich der Betrieb in Grenzen. Es starteten hauptsächlich Flieger nach Mallorca und Ankara. Die Stoßzeit für Geschäftsleute begann erst in zwei Stunden.
    Ellen lief so schnell wie möglich zu den Schließfächern. Dort fand sie wieder einen Umschlag. Er enthielt einhundert Euro – und ein Ticket nach Mallorca mit dem nächsten Flieger von Air Berlin. Dazu noch ein kleinerer Umschlag Am Ziel zu öffnen . Zeit, sich diesen Umschlag auch noch anzuschauen, hatte sie keine. Die Boarding-Time lief in acht Minuten ab.
    Ellen hetzte durch den Flughafen. An der Sicherheitsschleuse stand eine Schlange Urlauber. Ihr Polizeiausweis half ihr bis direkt vor die Schleuse, aber durch musste auch sie.
    Wenig später saß Ellen im Flugzeug. Ohne Gepäck. Eigentlich ohne alles. Nicht einmal frische Unterwäsche hatte sie dabei. Der Erpresser verstand sein Handwerk. Es war ziemlich genial, wie er dafür sorgte, dass sie tatsächlich unbewaffnet zu ihm kam. Indem er sie durch die Sicherheitsschleuse am Flughafen schickte, ließ er sie durch Experten auf Waffen hin abchecken.
    Der Mann war absolut effektiv. Und das nur durch geschicktes Timing, kluge Vorbereitung und zum Preis eines Billigflug-Tickets. Ellen war unbewaffnet und ganz auf sich gestellt. Dieser Erpresser war mit normalen Kategorien nicht zu fassen. Er spielte in einer eigenen Liga.
    Ellen sah sich um. War er etwa mit ihr im Flieger? Die Möglichkeit bestand, denn er musste auch nach Mallorca fliegen, wenn er sich mit ihr treffen wollte. Allerdings gingen um diese Jahreszeit sehr viele Flüge nach Mallorca. Und der Erpresser musste nicht einmal von Berlin geflogen sein.
    In ihrer Nähe sah niemand so aus, wie sie sich den Erpresser vorstellte. Ellen ging im Flieger ganz nach vorne zu einer Stewardess. Sie bat um eine Kopfschmerztablette, wobei sie unauffällig ihren Polizeiausweis zeigte. Jetzt hatte sie die volle Aufmerksamkeit der Stewardess.
    »Ich bin Kriminalhauptkommissarin Ellen Faber und leite das LKA 632 in Berlin. Ich bin in wichtigen Ermittlungen unterwegs. Ihr Kapitän muss das LKA informieren. Direktor Brahe muss unbedingt wissen, dass ich in diesem Flieger bin. Hauptkommissarin Ellen Faber. Haben Sie das verstanden und werden Sie das veranlassen?«
    Die Stewardess nickte und sah verstohlen zu den Passagieren hin.
    »Gut«, sagte Ellen, »und jetzt geben Sie mir die Kopfschmerztablette.«
    Ellen steckte die Tablette ein. Der Erpresser hatte sie gewarnt, eine Nachricht zu hinterlassen, aber dieses Mal hatte er sicher nichts davon mitbekommen. Im Flugzeug in zehntausend Metern Höhe gab es keine Möglichkeit zu irgendeiner elektronischen Überwachung, was es auf der Erde fast immer gab.
    Ellen ging durch den Mittelgang nach hinten, wobei sie unauffällig die Fluggäste in Augenschein nahm. Die meisten waren Urlauberfamilien mit Kindern oder Pärchen. Damit schieden sie aus. Dann gab es noch zwei Cliquen Jugendlicher, die sich lautstark und schon etwas angeheitert unterhielten. Die kamen ebenfalls nicht in Frage.
    Der einzige potenzielle Kandidat war ein einzeln fliegender Mann in der vorletzten Reihe. Mittleres Alter. Er trug ein unpassendes buntes Hawaii-Hemd und sah gelangweilt aus dem Fenster. Er war der wahrscheinlichste Kandidat unter den Passagieren. Neben ihm waren sogar zwei Plätze frei. Ellen setzte sich neben den Mann.
    »Kennen wir uns nicht?«, fragte sie leise.
    Der Mann drehte den Kopf und musterte Ellen. »Ich wüsste nicht.« Dann hellte sich sein Gesicht auf. »Doch. Doch, ich kenne Sie.«
    Wollte der Erpresser ihr so einfach seine Identität preisgeben? Ellen spannte ihre Muskeln.
    »Sie sind Frau Faber, habe ich recht? Diese Frau, die in der letzten Zeit immer im Fernsehen ist. Die Polizistin, die vor den Kameras einen Striptease hinlegt.«
    Mist. So hatte Ellen sich das nicht vorgestellt. »Nein, das bin ich nicht«, sagte sie knapp.
    Eilig ging sie zu ihrem Platz zurück.
    Als Erstes sah Ellen nur strahlenden Sonnenschein. In Palma de Mallorca war es zwar heißer als in Berlin, aber durch das nahe Meer war die Luft frischer. Es war ein seltsames Gefühl, aus dem Flieger zu steigen und, ohne am Gepäckband zu warten, direkt den Ausgang anzusteuern. In der Hand hielt Ellen den Zettel, der in dem zweiten Umschlag
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