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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen
Autoren: Klaus Seibel
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verfolgt aufmerksam jede seiner Bewegungen. Als er das Stativ aufbaut, zerrt sie wieder an ihren Handschellen. Hajo schraubt die Videokamera auf das Stativ.
    »Ich lasse mich so nicht von Ihnen filmen.«
    Er justiert die Kamera so, dass sie Ellen schräg von der Seite her aufnimmt. Das ergibt die besten Bilder.
    »Bei allen unseren Gesprächen waren Kameras dabei«, sagt er gleichmütig, während er die Aufnahme startet. »Ich habe nicht vor, diese Tradition zu ändern. Übrigens besitze ich schon einen wunderschönen Film, wie du dich ganz freiwillig und ohne Bedrohung selbst ans Bett fesselst. Du wirst niemals argumentieren können, ich hätte dich mit Gewalt in diese Lage gebracht. Ich könnte mit kleinen Filmchen von deinem Laptop belegen, dass du so was öfter machst.« Er deutet auf einen Mauervorsprung nahe der Decke, auf dem eine kleine Schachtel liegt. In der Schachtel ist ein Loch, durch das man ein winziges Objektiv erkennen kann.
    Die Handschellen knacken, als Ellen wieder daran zerrt, aber sie bewegen sich keinen Millimeter.
    »Lass diesen Unsinn. Du tust dir nur weh. Die Handschellen sind an der Wand befestigt.«
    Wieder reißt Ellen. Das Metall schneidet in ihre Haut.
    Hajo schüttelt den Kopf. »Wenn du es nicht lassen kannst … Die Rückwand der Finca ist der Fels. Ich glaube kaum, dass du den Berg wegziehen wirst.«
    Ellen lässt das Zerren sein. Er hat sie wohl überzeugt. Es hat tatsächlich keinen Zweck.
    »Schalten Sie die Kamera aus«, sagt Ellen deutlich leiser als zuvor. Ihre Brust hebt und senkt sich bei jedem Atemzug. »Sie tun das gegen meinen Willen. Haben Sie keinen Respekt vor meiner Intimsphäre?«
    Hajo setzt sich neben Ellen auf die Bettkante. »Vor mir hast du schon lange keine Intimsphäre mehr. Es gibt nichts, was ich nicht von dir wüsste, und keine Situation, von der ich nicht eine Aufnahme hätte.«
    Ellen zerrt ein letztes Mal an der Kette. »Sie haben meinen Laptop ausspioniert, richtig?«
    Hajo nickt. »Ich habe alle deine Fotos und Filme gesehen. Ich habe deine Chats belauscht. Auch die, die du mit Decknamen geführt hast. ›Fesselfee‹ gefällt mir von all deinen Pseudonymen am besten.« Er lacht. »Das finde ich besonders passend. Ich kenne deine Gedanken, auch die, die du niemals öffentlich aussprechen würdest. Ich habe mir den Film angesehen, auf dem du Koks nimmst und dann Sex hast. Ich konnte zuerst kaum glauben, wie du da abgehst. Der reine Wahnsinn.«
    Ellen schließt die Augen.
    Hajo redet in lockerem Plauderton. »Ich habe alle deine Passwörter und deine PIN-Nummern. Ich weiß deinen Kontostand und einiges mehr. Schön sind auch die vielen Aufnahmen, wie du durch deine Wohnung läufst. Du hast eine wunderbare Art, dich zu bewegen. Es macht Spaß, dir dabei zuzusehen. Deine Webcam hat wirklich eine hervorragende Qualität. Ich konnte sogar die Sorte deines Lieblings-Rotweins erkennen.« Er zieht eine Flasche mit zwei Gläsern aus der Tasche. »Ein Pasión de Bobal von 2009. Das ist doch richtig?«
    Ellen wirft einen kurzen Blick auf das Etikett und nickt stumm.

47
     
    Ellen lag nicht nur körperlich nackt vor ihrem Erpresser. Auch ihre Vergangenheit und Geheimnisse, ihre Gefühle und Gedanken kannte er. Sie war mehr als nur nackt – aber dafür gab es kein Wort mehr. Und das alles, weil er in ihren Computer eingebrochen war? Ihr Laptop war für sie das Tor zur Welt gewesen, das Tor, durch das sie anonym schreiten konnte, ohne Polizistin und korrekte Beamtin zu sein. Ohne Ellen Faber zu sein. Ein anonymer Fremder hatte dieses Tor genutzt und ihr Leben durchleuchtet. Sie hatte alle ihre Geheimnisse verloren. Ellen sah zu der Kamera auf dem Mauervorsprung. Und in diesem Moment kamen weitere intime Bilder dazu.
    »Haben Sie keinerlei Skrupel? Keinerlei Respekt?«
    »Habe ich etwas anderes getan, als das, was die Polizei und der Staat gerne tun möchten?«
    »Das hier ist etwas anderes.«
    »Findest du? Warum hattest du dann Sorge, dass deine Kollegen deinen Laptop untersuchen? Dein Kollege Daudert repräsentiert doch den Staat.«
    Ellen presste ihre Lippen zusammen. Auch der Erpresser schwieg. Er stellte die Weingläser auf den Nachttisch neben Ellens Kopf. Sie roch seinen Körper, nur leicht übertönt von einem frischen Deo. Er musste höllisch schwitzen unter seiner Maske und mit langen Ärmeln und Handschuhen. Sie selbst schwitzte, obwohl sie nackt war.
    » Sie haben die Daten von meinem Laptop gelöscht, richtig?«, fragte Ellen.
    »Ich habe mir erlaubt,
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