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Zehn zärtliche Kratzbürsten

Zehn zärtliche Kratzbürsten

Titel: Zehn zärtliche Kratzbürsten
Autoren: Arto Paasilinna
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gescheitert. Der Bursche war zwar willens, aber ein unglaublicher Tölpel gewesen. Die beiden waren mit dem Taxi von Rovaniemi nach Tornio und weiter nach Haaparanta gefahren, aber dann hatten sie nicht mal im Hotel übernachten können, weil der kühne Entführer bekennen musste, dass er noch gar nicht volljährig war. Auf äußerst peinliche Art und Weise waren die Ausreißer in Polizeibegleitung nach Hause gebracht worden, und einige Jahre später hatten sie jeweils mit einem anderen Partner eine bürgerliche Ehe geschlossen.
    Plötzlich rüttelte sie Rauno an den Schultern und verlangte, ihren herrlichen Jugendtraum zu erfüllen und sie zu rauben. Natürlich zum Spaß, aber trotzdem wäre es großartig und schrecklich romantisch, wenn Rauno mit Bärenpranken seine Geliebte umschlingen und hinaustragen würde, und sie würde schreien, trotzdem aber nicht wieder nach Hause wollen!
    Rauno blieb nichts weiter übrig, als Bischofswitwe Ulla-Maija Lindholm zu rauben. Zunächst aber duschten sie und zogen sich an.
    Rauno rief Sorjonen an und teilte ihm mit, dass er bald nach Ha u se fahren werde, er müsse zuvor nur noch eine Kleinigkeit erledigen. Anschließend hievte er sich die Lucia auf die Schultern und stürmte ins Treppenhaus. Mit großem Getöse schleppte der Entführer seine Braut hinunter und auf die Straße.
    Ulla-Maija kreischte vor Entzücken, als sich der Weihnachtsmann draußen in Trab setzte. Eigentlich war das Ganze auch für ihn recht lustig. Er spurtete um das ganze Viertel mit der Frau auf seinen Schultern. Ulla-Maijas Abendkleid flatterte, und der Sternenkranz drohte ihr vom Kopf zu fallen, aber sie hielt ihn mit einer Hand fest, den anderen Arm hatte sie um den Hals des Entführers geschlungen.
    Im Menschengewühl des Vorweihnachtstages erregte das Gesch e hen viel Aufmerksamkeit. Die Leute riefen Rauno zu, er solle die Frau freilassen, aber viele ermunterten ihn auch, schneller zu laufen.
    Vermutlich wäre die Polizei gerufen und gebeten worden, das ve r rückte Paar einzufangen, wenn nicht Sorjonen erschienen wäre. Er war völlig verdattert und glaubte, der Industrierat hätte den Verstand verloren, und so abwegig war der Gedanke ja auch nicht.
    Rasch erfand Sorjonen eine Erklärung für das seltsame Spektakel: Er erklärte den Umstehenden mit lauter Stimme, dass kein Grund zur Sorge bestehe, es handle sich nur um die Proben zu einem Wei h nachtsstück. Einer alten finnisch-sizilianischen Legende zufolge habe der Weihnachtsmann seinerzeit die Lucia geraubt, und dies hier sei eine Neuauflage jener alten Geschichte. Er kündigte sogar an, dass das Stück am ersten Feiertag im Nationalmuseum aufgeführt werden solle, wo die Besucher auch Gelegenheit hätten, sich nach altem finnischem Brauch ins Stroh zu legen.
    Nachdem Rauno mit der kreischenden Lucia auf dem Rücken drei Mal das Viertel umrundet hatte, hatte er genug von dem anstrenge n den Galopp und brachte seine Beute wieder in ihr Heim zurück. Glücklich umarmte die Witwe den Weihnachtsmann und den Wic h tel und wünschte beiden ein friedliches Weihnachtsfest.
     

21 Annikki
     
    Am Heiligabend sind viele Weihnachtsmänner ein wenig beschwipst, und Industrierat Rauno Rämekorpi bildete da keine nüchterne Au s nahme: Er war ziemlich angeheitert, als er von seiner Geschenkrunde zu seiner Frau Annikki heimkehrte. Es war fast zwölf Uhr, im Radio wurde der Weihnachtsfrieden verkündet.
    Wichtel Seppo Sorjonen umarmte die Hausfrau herzlich und holte dann aus seinem Auto einen ganzen Schinken, den er, aufmerksam wie er war, als Weihnachtsgeschenk für Annikki und Rauno besorgt hatte. Als Beilagen tischte er den üblichen Kohlrübenauflauf, Ma n delkartoffeln, grüne Erbsen und andere traditionelle finnische Wei h nachtsgerichte auf. Zu trinken gab es Bier, Weißwein und zu Beginn einen Schnaps. Als er alles fertig eingedeckt hatte, wünschte er den Herrschaften frohe und glückliche Weihnachten und fuhr zu seiner Eeva nach Lauttasaari. Der Weihnachtsmann bat ihn, die Rechnung für die Geschenkrunde an die Fabrik in Tikkurila zu schicken.
    Annikki legte die Silberbestecke neben die Teller und faltete rote Servietten. Sie fand, dass die Menge der Speisen auf dem Tisch für mindestens zehn Personen gereicht hätte. Mit einem schiefen Blick zu ihrem Ehemann erwartete sie dessen Stellungnahme. Rauno blieb stumm.
    In einer Ecke des Wohnzimmers wartete ein leerer Weihnacht s baumfuß, in den Annikki mit der Gießkanne Wasser füllte. Sie ließ die
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