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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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»Sag ich doch, ich war oben. Jetzt haben alle schon gepackt oder sind losgeritten. Vielleicht ist dir ja aufgefallen, dass ich nicht in der allerbesten Verfassung bin. Wenn sich einer nicht traut, dich abzuknallen, nimmt er womöglich mich aufs Korn. Aber dafür bin ich nicht hierher. Also, was ist jetzt? Reitest du mit mir zu Ma und Pa rauf, ja oder nein? Es ist ja nicht so, dass du was Besseres vorhättest.«
    »Sag mir noch eins«, bat Zebulon. »Hast du diesen Braunen in Galisteo mit dem Lasso eingefangen?«
    »Nein, verdammt«, erwiderte Hatchet Jack. »Ich hab mir einen Braunfalben geschnappt. Der Braune war keinen Schuss Pulver wert.«
    Als sie durch die Pendeltüren gingen, saß der O-Beinige auf einer Bank. Er schaute nicht auf, als Hatchet Jack die Straße hinunter ritt, gefolgt von Zebulon auf dem Pferd, das ihm gehörte.

H ATCHET J ACK UND Z EBULON ritten nordwärts über die Hochwüste auf die Spanish Peaks der Sangre de Cristo Mountains zu. Nach zwei Tagen erreichten sie am Ende eines tief eingeschnittenen Tals die einsame Hütte, halb bis zum Dach in Schneewehen vergraben.
    Es hatte sich kaum etwas verändert. Auf dem Dach fehlten nach wie vor die meisten Schindeln, in dem behelfsmäßigen Korral standen drei halb verhungerte Maultiere, und aus dem Kamin kräuselte sich dünner Rauch wie ein einsames Fragezeichen. Nachdem sie ihre Pferde über den zugefrorenen Fluss geführt hatten, der sich vor der Hütte vorbeischlängelte, rief Zebulon laut »Hallooooo«. Als keine Antwort kam, brachten sie ihre Pferde in den Korral und stießen die steifgefrorene Tür aus Bisonfell auf.
    Eine sehr alte Frau mit einem strengen Gesicht saß in roten langen Unterhosen hinter einem aus drei Planken gezimmerten Tisch und zielte mit einer Schrotflinte direkt auf sie. Vor ihr lagen zerfledderte Spielkarten für eine Patience über die Tischplatte verteilt. Brauner Tabaksaft lief ihr das Kinn hinab, und ein dünner Vorhang aus grauem Haar fiel über eine Hälfte ihres verwüsteten Gesichts.
    »Ich hab gedacht, dein Pa kommt zurück«, sagte sie zu Zebulon. »Hab mich schon drauf gefreut, den alten Graubart schnurstracks zur Hölle zu schicken.«
    Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Ziemlich weit weg von deinen Jagdgründen, stimmt’s, mein Sohn? Das Letzte, was ich gehört hab, war, dass du dich mit Flachländern und goldgierigen Argonauten rumgetrieben hast.«
    »Ja, hab ich, Ma«, sagte Zebulon. »Aber jetzt nicht mehr.«
    »Ein trauriges Häufchen Elend bist du«, fuhr sie fort. »Siehst verdammt noch mal aus wie ein Geist. Übel zugerichtet und dürrer als eine Schlange auf Stelzen.«
    »Das wird schon wieder«, versicherte er ihr.
    »Kann sein, aber du bist noch nicht übern Berg.«
    »Tag, Ma«, unterbrach Hatchet Jack.
    »Tag auch«, erwiderte sie und spuckte einen dicken Schwall Tabaksaft in die Richtung, wo der Spucknapf stand. »Und sag nicht ›Ma‹ zu mir. Nenn mich beim Vornamen oder schaff deinen klapprigen Halbblutarsch wieder weg von hier.«
    »Na gut, Annie May.« Hatchet Jack nahm eine Flasche Whiskey vom Tisch und genehmigte sich einen kräftigen Schluck, dann reichte er die Flasche an Zebulon weiter.
    »Du hast ganz schön dicke
cojones
, dich hier noch mal blicken zu lassen«, fuhr Annie May fort. »Das Letzte, was ich von dir gehört hab, war, dass du unten am Brazos Rinder gestohlen hast.«
    »Rinder bringen heute nichts mehr ein«, sagte Hatchet Jack.
    »Kann ich bezeugen«, sagte Zebulon, zog sein blutiges Hemd aus und ließ es auf den Lehmboden fallen.
    »Glaub ich dir sofort«, sage Annie May und warf ihm einen müden Blick zu. »Bezeugen, was andere sagen, war schon immer deine besondere Stärke. Genau wie die Schürzenjägerei.«
    Sie drehte den Kopf zu Hatchet Jack hin. »Was führt dich her?«
    »Ich muss mit Pa ins Reine kommen«, sagte Hatchet Jack. »Mit Elijah, mein ich. Einen Schlussstrich ziehen.«
    »Bist du jetzt ein Heiliger geworden, oder nur einfach
loco
?«, fragte die alte Frau.
    »Er ist ein Heiler geworden«, erklärte Zebulon.
    Annie May lachte gackernd und schlug sich auf die Schenkel. »Mich laust der Affe. Du kommst zu spät, Mr. Healer-Dealer. Er hat seinen traurigen Arsch nach Kalifornien geschleppt. Wer weiß, wohin? Jetzt musst du dich mit mir auseinandersetzen.«
    »Das ist nicht dasselbe.«
    »Ach nein? Das Pferd und die Fallen, die du gestohlen hast, haben mir genauso gehört wie ihm. Von Rechts wegen müsste ich dich wegen Diebstahl umlegen und damit
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