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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Autoren: Robin Hobb
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sie, Reyns unausweichliche Bestrafung zu teilen. Alle warteten darauf, ihn sterben zu sehen.
    Mit einer schnellen Bewegung, bei der Ronica unwillkürlich die Luft anhielt, sprang Selden von dem Podest, näherte sich langsam der Drachenkönigin, damit sie ihn wahrnahm, und schob dann dreist seine kleine Gestalt zwischen Reyn und Tintaglias ärgerlichen Blick. Er verbeugte sich höflich vor ihr.
    »Willkommen, du Strahlende!« Selden genoss in diesem Moment die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden. »Wir haben uns hier versammelt, wie du es uns aufgetragen hast.
    Wir haben deine Rückkehr erwartet, Himmelsherrscherin, damit wir erfahren, welche Aufgabe genau du von uns erwartest.«
    »Ah, verstehe.« Die Drachenkönigin hob den Kopf, um die Leute besser beobachten zu können. Alle duckten sich automatisch und beugten unabsichtlich die Knie vor ihr. »Ihr habt euch also nicht hier versammelt, um Ränke gegen mich zu schmieden?«
    »Niemand hat ernstlich so etwas erwogen!«, log Selden mutig. »Wir mögen vielleicht nur Menschen sein, aber wir sind nicht dumm. Wer unter uns könnte wirklich mit dem Gedanken spielen, sich deiner schuppigen Macht zu widersetzen? Wir haben uns heute viele Geschichten von deinen mutigen Taten erzählt. Alle haben von deinem fürchterlichen Odem gehört, vom Sturm, den deine Schwingen entfachen, und von der Kraft deines Schwanzes. Alle begreifen, dass uns unsere Feinde ohne deine glorreiche Macht überrannt hätten. Kaum vorzustellen, wie leidvoll dieser Tag für uns gewesen wäre, wenn sie die Ehre gehabt hätten, dir zu dienen, und nicht wir.«
    Ronica fragte sich, wem Selden das eigentlich wirklich sagte.
    Schmeichelte er der Drachenkönigin, oder waren seine Worte eine Ermahnung an die Versammlung, dass andere Völker ihr vielleicht genauso gut dienen konnten? Die Menschen von Bingtown waren ersetzbar. Vielleicht war ja der einzige Weg zu überleben der, freiwillig in ihren Dienst zu treten.
    Tintaglias große silberfarbene Augen rotierten langsam und freundlich bei Seldens Schmeichelei. Ronica blickte in ihre wirbelnden Tiefen und fühlte sich unwillkürlich zu der Kreatur hingezogen. Die überlappenden Schuppen auf ihrem Kopf erinnerten die Händlerin an die biegsamen Glieder einer schönen Halskette. Während Tintaglia die Leute musterte, schwang ihr Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Ronica war von dieser Bewegung fasziniert und nicht in der Lage, ihren Blick abzuwenden. Der Drache war sowohl silbern als auch blau.
    Jede Bewegung ließ abwechselnd beide Farben auf ihren Schuppen schillern. Ihr Hals war edel geschwungen wie der eines Schwans. Ronica hatte plötzlich das Bedürfnis, die Drachenkönigin anzufassen und herauszufinden, ob die glatte Haut kühl oder warm war. Die anderen Menschen in der Halle drängten sich ebenfalls dichter an sie heran, fasziniert von ihrer Schönheit. Ronica fühlte, wie die Spannung von ihr abfiel. Sie war zwar noch müde, aber es war ein gutes Gefühl, wie ein sanfter Schmerz in den Muskeln am Ende eines anstrengenden Tages.
    »Was ich von euch verlange, ist ganz einfach«, sagte die Drachenkönigin leise. »Menschen waren immer Erbauer und Grabende. Es liegt in eurem Wesen, die Natur nach euren Bedürfnissen zu formen. Diesmal werdet ihr sie nach meinen Wünschen gestalten. Es gibt einen Platz am Regenwildfluss, wo das Wasser sehr niedrig fließt. Ich möchte, dass ihr dorthin geht und den Fluss tiefer macht, so tief, dass eine Seeschlange ihn passieren kann. Das ist alles. Versteht ihr das?«
    Diese Frage schien ihr Schweigen zu durchbrechen. Die Menschen redeten leise miteinander, und die meisten waren angenehm überrascht. Das war alles, was sie wollte, diese einfache Sache?
    Dann stellte jemand weiter hinten eine Frage. »Warum? Warum willst du, dass die Seeschlangen den Regenwildfluss hinaufschwimmen?
    »Sie sind die Brut der Drachen«, erwiderte Tintaglia ruhig.
    »Sie müssen den Fluss hinaufschwimmen, zu einem bestimmten Ort. Dort können sie sich verpuppen, um dann voll ausgewachsene Drachen zu werden. Früher einmal befand sich dieser Platz in der Nähe der Regenwildstadt Trehaug. Aber die Sümpfe haben die sonnigen und sandigen Ufer verschluckt.
    Weiter flussaufwärts gibt es noch eine Stelle, die vielleicht dienlich ist. Falls die Seeschlangen sie erreichen.«
    Ihre Augen rotierten einen Moment nachdenklich. »Sie werden außerdem Wachen brauchen, während sie in ihren Kokons schlummern. Ihr müsst sie in den Wintermonaten, in
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