Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen

Titel: Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
ein schreckliches Gelächter.
    Er sah seinen Vater an. Dessen Augen wirkten trübe. »Ich muss gehen«, erklärte Wintrow entschuldigend. »Bleib hier.«
    Sein Vater schnaubte verächtlich. »Die Mühe kannst du dir sparen. Du hast sie schon verloren. Du hast auf den Priester gehört und den Piraten erlaubt, an Bord zu kommen. Du bist einfach dagestanden und hast zugelassen, dass die Piraten sie entern. Genau wie gestern Abend, als du uns nicht gewarnt hast, dass die Sklaven sich gegen uns erheben.«
    Er schüttelte den Kopf. »Gestern Abend hatte ich einen Moment gedacht, ich hätte dich falsch eingeschätzt. Aber ich hatte die ganze Zeit über Recht.«
    »Genau wie ich danebenstand und zugelassen habe, dass du mein Schiff in einen Sklavenhändler verwandelt hast«, entgegnete Wintrow bitter. Er musterte seinen Vater von oben bis unten. »Ich fürchte, ich hatte ebenfalls Recht.«
    Dann verließ er das Ruder und ging, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Das Schiff, sagte er sich. Ich mache es für das Schiff. Er ließ seinen Vater nicht allein und verletzt da stehen, weil er ihn hasste.
    Und er hoffte auch nicht insgeheim, dass jemand ihn umbrachte. Er tat es nur, weil das Schiff ihn brauchte. Wintrow ging Richtung Vordeck. Als er das Mittschiff erreichte, bahnte er sich seinen Weg so unauffällig wie möglich durch die versammelten Sklaven.
    Im Tageslicht sahen die Sklaven noch schrecklicher aus als in der Dämmerung der Frachträume. Ihre von Lumpen nur notdürftig bedeckte, blasse Haut wies Wunden und Schwären von den Fesseln und den ständigen Bewegungen des Schiffes auf. Durch die Entbehrungen waren viele bis auf die Knochen abgemagert. Einige trugen bessere Kleidung, die sie toten Seeleuten abgenommen hatten. Die Kartenvisagen schienen sich der Garderobe seines Vaters bemächtigt zu haben. Sie wirkten entspannter als die anderen. Von denen hatten viele die zwinkernden verwirrten Blicke von Vieh, das lange im Dunkeln eingesperrt gewesen war und jetzt plötzlich freigelassen wurde.
    Sie hatten die Vorräte geplündert. Fässer mit Zwieback waren ins Freie gerollt und geöffnet worden. Einige der Sklaven umklammerten ihr Stück Schiffszwieback, als wollten sie sich vergewissern, dass diese Nahrung tatsächlich existierte. Auch wenn sie von den Ketten befreit waren, wirkten sie, als könnten sie sich nicht erinnern, wie man sich frei bewegte und was man tat, wenn man freie Entscheidungen traf. Die meisten traten von einem Fuß auf den anderen und sahen sich mit der stumpfen Wahrnehmung an, die Vieh füreinander empfindet.
    Man hatte ihnen die Menschlichkeit gestohlen. Sie würden lange brauchen, bis sie sie wiederhatten.
    Wintrow versuchte sich zu bewegen, als wäre er wirklich ein Sklave, und schlüpfte von einer Gruppe zur nächsten. Sa’Adar und seine Kartenvisagen standen im Mittschiff und hießen offensichtlich die Piraten willkommen. Der Priester sprach mit drei von ihnen. Die Worte, von denen Wintrow einige hörte, schienen ein blumiger Willkommens-und Dankesgruß zu sein.
    Keiner der drei wirkte sonderlich beeindruckt. Und dem großen Mann schien davon regelrecht übel zu werden. Wintrow konnte das gut nachempfinden.
    Aber um sie musste er sich nicht kümmern. Es ging um die Viviace . Ihr vergebliches Flehen war zu kläglichen Lauten herabgesunken. Wintrow sah die beiden Kartenvisagen, die auf der Leeseite des Schiffes standen. Sie warfen systematisch die gestapelten Leichen von abgeschlachteten Matrosen und Sklaven über Bord. Ihre Mienen wirkten unbeteiligt, und nur ab und zu sagten sie etwas über die Gefräßigkeit der weißen Seeschlange, die sich die Leichen schnappte. Wintrow erhaschte einen Blick auf Mild, als er über die Reling flog. So würde er sich immer an ihn erinnern. An die nackten Füße, die aus der zerrissenen Hose ragten, während die weiße Seeschlange den Leichnam seines Freundes packte und verschlang. »Sa, vergib uns«, betete er leise. Er drehte sich um und legte seine Hand auf die Leiter des Vordecks. In dem Moment hörte er, wie Sa’Adar zu einer Kartenvisage sagte:
    »Hol Kapitän Haven her.«
    Wintrow hielt einen Moment inne, stürmte dann die Leiter hinauf und rannte zum Bug. »Viviace, ich bin hier. Ich bin hier.«
    Er sprach leise.
    »Wintrow!«, stieß sie hervor. Sie drehte sich um und streckte eine Hand aus. Er beugte sich hinunter und ergriff sie. Ihr Gesicht war von Schock und Angst gezeichnet. »So viele sind tot«, flüsterte sie. »So viele sind gestern Nacht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher