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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ihrer Mutter befreite sie meist rasch und entschieden aus solchen unwillkommenen Situationen. Aber Rosemary war jetzt erst seit sechs Monaten eine Berühmtheit und die französischen Manieren ihrer frühen Jugend und das später |19| darüber gestülpte demokratische Denken Amerikas erzeugten gelegentlich eine gewisse Verwirrung, die dazu führte, dass sie sich darauf einließ.
    Mr McKisco, ein dürrer, sommersprossiger Typ um die dreißig, fand das Thema der »Handlung« nicht lustig. Er hatte aufs Meer gestarrt und wandte sich jetzt   – nach einem kurzen Blick auf seine Frau   – abrupt zu Rosemary um und fragte streitlustig: »Sind Sie schon lange da?«
    »Erst einen Tag.«
    »Oh.«
    Offenbar im Gefühl, das Thema genügend gewechselt zu haben, wandte er sich wieder den anderen zu.
    »Bleiben Sie den ganzen Sommer?«, fragte Mrs McKisco unschuldig. »Dann können sie die Entwicklung der Handlung verfolgen.«
    »Herrgott, Violet, kannst du nicht damit aufhören?«, explodierte ihr Ehemann. »Such dir endlich mal einen neuen Witz!«
    Mrs McKisco neigte sich zu Mrs Abrams hin und hauchte sehr hörbar: »Jetzt ist er nervös.«
    »Ich bin nicht nervös«, widersprach McKisco. »Zufällig bin ich überhaupt nicht nervös.«
    Er war sichtlich erhitzt   – eine graue Röte hatte sich auf seinem Gesicht breitgemacht und seine Züge mit einer großen Hilflosigkeit überzogen. Plötzlich wurde sein Zustand ihm offenbar vage bewusst, denn er stand auf und begab sich ins Wasser, wohin ihm seine Frau folgte. Rosemary ergriff die Gelegenheit und schloss sich an.
    Mr McKisco holte tief Luft, warf sich in die Wellen und begann das Mittelmeer mit steifen Armen zu prügeln, was wohl eine Art Kraulen sein sollte. Als ihm die Luft wegblieb, |20| hob er den Kopf und sah sich um, offenbar sehr überrascht, dass er das Ufer noch sehen konnte.
    »Ich hab die Atemtechnik noch nicht richtig raus. Ich weiß nicht, wie Sie das machen.« Er sah Rosemary fragend an.
    »Ich glaube, man muss unter Wasser ausatmen«, erklärte sie. »Und bei jedem vierten Zug rollt man sich herum und holt Luft.«
    »Das Atmen ist für mich das Schwerste. Wollen wir zum Floß schwimmen?«
    Der Mann mit der Löwenmähne lag ausgestreckt auf dem Badefloß, das im leichten Wellengang auf und ab schaukelte. Als Mrs McKisco danach griff, schlug es ihr mit einem plötzlichen Schwenk auf den Arm, woraufhin der Mann aufstand und sie an Bord zog.
    »Ich hatte schon Angst, Sie wären am Kopf getroffen worden.« Seine Stimme war langsam und schüchtern; er hatte eins der traurigsten Gesichter, die Rosemary je gesehen hatte: hohe, fast indianische Wangenknochen 1* , eine lange Oberlippe und riesige, dunkel goldene Augen, die tief in den Höhlen lagen. Er sprach aus dem Mundwinkel, als ob er hoffte, seine Worte würden Mrs McKisco auf einem unauffälligen Umweg erreichen. Eine Minute später sprang er ins Wasser und sein lang gestreckter Körper schoss in Richtung des Ufers.
    Rosemary und Mrs McKisco sahen ihm zu. Als er seinen Schwung eingebüßt hatte, klappte er zusammen, seine mageren Schenkel hoben sich aus dem Wasser, dann tauchte er ab und hinterließ kaum ein paar Blasen.
    »Er ist ein guter Schwimmer«, stellte Rosemary fest.
    Mrs McKiscos Antwort erfolgte mit unerwarteter Heftigkeit. »Aber ein miserabler Musiker.« Sie wandte sich ihrem Mann zu, der es nach zwei vergeblichen Versuchen gerade |21| geschafft hatte, das Floß zu erklimmen, und   – nachdem er sein Gleichgewicht wiedergewonnen hatte   – zum Ausgleich eine spektakuläre Geste versuchte, die aber nur zu weiterem Stolpern und Schwanken führte. »Ich habe gerade gesagt, dass Abe North vielleicht ein guter Schwimmer sein mag, aber ein miserabler Musiker.«
    »Ja«, stimmte McKisco missmutig zu. Offensichtlich hatte
er
die Welt seiner Frau erschaffen und erlaubte ihr darin nur wenige Freiheiten.
    »George Antheil, das ist einer, der mir gefällt.« Herausfordernd drehte sich Mrs McKisco zu Rosemary um. »Antheil und Joyce. Ich nehme an, in Hollywood hören Sie von solchen Leuten nicht viel, aber mein Mann hat die erste Kritik des ›Ulysses‹ 2* geschrieben, die in Amerika je veröffentlicht wurde.«
    »Ich wünschte, ich hätte eine Zigarette«, sagte McKisco sachlich. »Das ist mir im Moment fast noch wichtiger.«
    »Er hat so viel Seele   – findest du nicht auch, Albert?«
    Ihre Stimme verstummte abrupt. Die Frau mit den Perlen war jetzt mit ihren beiden Kindern im Wasser und Abe North
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