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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Achtzigerjahren unveränderten Muster des viktorianischen England in Pullis und Socken und leierten dazu wie Klageweiber ihren alten Klatsch herunter, während es sich unter den gestreiften Sonnenschirmen weiter unten am Wasser ein Dutzend Leute bequem gemacht hatten, deren Kinder weitestgehend unbeeindruckte Fische im seichten Wasser jagten oder nackt und glänzend vor Kokosöl in der Sonne herumlagen.
    Als Rosemary an den Strand kam, rannte ein etwa zwölfjähriger Junge an ihr vorbei und stürzte sich mit begeisterten Schreien ins Wasser. Im Bewusstsein der prüfenden Blicke aus fremden Gesichtern streifte sie ihren Bademantel ab und folgte dem Beispiel des Jungen. Ein paar Meter ließ |14| sie sich mit dem Gesicht nach unten im Wasser treiben, und als sie merkte, wie flach es war, stellte sie sich auf die Füße und watete vorwärts, wobei sie ihre schlanken Beine wie Hanteln gegen den Widerstand stemmte. Als das Wasser ihr bis zur Brust stand, warf sie einen Blick zum Ufer zurück: Ein kahlköpfiger Mann mit Monokel und langem Badeanzug, der seine behaarte Brust kräftig aufgeblasen und seinen dreisten Nabel eingezogen hatte, sah ihr aufmerksam zu. Als sie seinen Blick erwiderte, ließ er sein Monokel in seine markanten, gekräuselten Brusthaare fallen und goss sich ein Glas aus der Flasche ein 2* , die er in der Hand hielt.
    Rosemary legte das Gesicht aufs Wasser und kraulte in einem unregelmäßigen Viertakt zum Floß hinaus. Das Wasser griff nach ihr, zog sie zart aus der Hitze herunter, drang in ihre Haare und alle Winkel des Körpers. Sie umarmte es, drehte und rollte sich darin herum. Als sie das Floß erreichte, war Rosemary außer Atem, aber als dann eine gebräunte Frau mit sehr weißen Zähnen zu ihr hinunterschaute, wurde sie sich ihres eigenen grell weißen Körpers bewusst, drehte sich auf den Rücken und ließ sich zum Ufer zurücktreiben. Der haarige Mann mit der Flasche sprach sie an, als sie aus dem Wasser kam.
    »Hören Sie   – hinter dem Floß da draußen gibt’s Haifische.« Er war von unbestimmter Nationalität, aber sein Englisch wies einen schleppenden Oxford-Akzent auf. »Gestern haben sie zwei britische Matrosen von der Flotte in Golfe Juan aufgefressen.«
    »Du meine Güte!«, rief Rosemary.
    »Sie kommen wegen des Abfalls der Schiffe.«
    Um anzudeuten, dass er sie lediglich hatte warnen wollen, ließ er einen dünnen Schleier über seine Augen sinken, trat zwei Schritte zurück und goss sich einen weiteren Drink ein. |15| Während des kurzen Gesprächs hatte es eine leichte Verlagerung der Aufmerksamkeit in ihre Richtung gegeben, und mit einer durchaus zufriedenen Schüchternheit suchte Rosemary nach einem Platz, um sich hinzusetzen. Offensichtlich gehörte jeder Familie der Streifen Sand vor ihrem Sonnenschirm; außerdem gab es Besuche und rege Gespräche   – es herrschte die Atmosphäre einer Gemeinschaft, in die man sich nur mit erheblicher Dreistigkeit hätte hineindrängen können. Weiter oben dagegen, wo der Strand mit Steinen und trockenem Seetang bedeckt war, saß eine Gruppe von Leuten, deren Fleisch noch so weiß wie ihr eigenes war. Sie lagen unter kleinen Handsonnenschirmen anstelle der großen Strandschirme und waren ganz offenbar weniger einheimisch. Rosemary suchte sich einen Platz zwischen den Hell- und den Dunkelhäutigen und breitete ihren Bademantel im Sand aus.
    Während sie so dalag, hörte sie zunächst nur die Stimmen und spürte, wie Füße an ihrem Körper vorbeigingen. Gelegentlich trat jemand zwischen sie und die Sonne, und einmal blies ein neugieriger Hund ihr seinen heißen, nervösen Atem ins Genick. Sie spürte, wie ihre Haut sich in der Hitze ein wenig zu kräuseln begann, und hörte das leise, erschöpfte Plätschern der Wellen. Allmählich unterschied ihr Ohr auch die einzelnen Stimmen und sie erfuhr, dass jemand, der mit einer gewissen Verachtung »dieser North« genannt wurde, gestern Abend einen Kellner aus einem Café in Cannes entführt hatte, um ihn in zwei Teile zu sägen. Vorgetragen wurde diese Geschichte von einer weißhaarigen Frau in einem Abendkleid, das offensichtlich auch von letzter Nacht stammte, denn an ihrem Kopf hing noch ein Diadem und an ihrer Schulter verwelkte eine mutlose Orchidee. Rosemary entwickelte eine unbestimmte |16| Abneigung gegen sie und ihre Gefährten und wandte sich ab.
    Auf der anderen Seite war eine junge Frau ihr am nächsten. Sie hockte unter einem Dach von Sonnenschirmen und machte anhand eines
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