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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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angenehm, am späten Nachmittag zum Hotel zurückzufahren, hoch über dem Meer, das so geheimnisvoll schimmerte wie die Achate und Karneole der Kindheit, grün wie grüne Milch, blau wie Waschwasser, dunkel wie Wein. Es war angenehm, an Leuten vorbeizufahren, die vor ihren Haustüren saßen und aßen, und dem heftigen Klimpern der elektrischen Klaviere zu lauschen, das aus den rankenbedeckten kleinen Cafés herausdrang. Als sie von der Corniche d’Or abbogen und durch die dunklen, in verschiedenen Grüns gestaffelten Bäume zum »Hotel Gausse« hinabfuhren, hing der Mond schon über den Ruinen der Aquädukte   …
    |30| Irgendwo in den Hügeln hinter dem Hotel wurde getanzt; Rosemary lag unter ihrem Moskitonetz, das im Mondlicht geisterhaft schimmerte, hörte der Musik zu und spürte, dass es auch hier Vergnügungen gab. Sofort dachte sie an die netten Leute vom Strand. Vielleicht würden sie morgen wieder da sein, aber sie bildeten eine so selbstgenügsame Gruppe, dass man gar nicht an sie herankam. Wenn ihre Sonnenschirme, Bambusmatten, Hunde und Kinder erst einmal installiert waren, schien dieser Teil des Strandes wie abgezäunt. Aber eines war sicher: Mit den Weißhäutigen würde sie ihre letzten zwei Tage hier nicht verbringen.

4
    Das Problem wurde von anderen für sie gelöst. Die McKiscos waren noch nicht da, als sie herunterkam, und sie hatte kaum ihren Bademantel im Sand ausgebreitet, als zwei der Männer   – der mit der Jockeymütze und der große Blonde, der dazu neigte, Kellner entzweizusägen   – die Gruppe verließen und zu ihr herüberkamen.
    »Guten Morgen«, sagte Dick Diver. Er beugte sich zu ihr herunter. »Hören Sie   – Sonnenbrand oder nicht   – warum waren Sie gestern nicht da? Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht.«
    Sie setzte sich auf, und ihr glückliches kleines Lachen hieß den Vorstoß der Männer willkommen.
    »Wir haben uns gefragt«, sagte er, »ob Sie heute vielleicht zu uns kommen wollen. Wir gehen zusammen schwimmen, wir haben Getränke und Futter, die Einladung hat also durchaus Substanz.«
    Er schien liebenswürdig und freundlich zu sein   – seine |31| Stimme versprach, dass er sich um sie kümmern und später vielleicht noch ganz andere Welten und unendliche, großartige Möglichkeiten für sie eröffnen würde. Die Vorstellerei arrangierte er so, dass ihr Name gar nicht erwähnt wurde und ließ sie auf diese Weise mit leichter Hand spüren, dass jeder wusste, wer sie war, und ihr Privatleben jederzeit respektiert werden würde   – eine Höflichkeit, der Rosemary seit ihrem Durchbruch nur noch bei den Profis der Branche begegnet war.
    Nicole Diver, deren gebräunter Rücken wieder an ihrer Perlenkette zu hängen schien, suchte in einem Kochbuch nach
Chicken Maryland
. Sie war ungefähr vierundzwanzig, schätzte Rosemary. Ihr Gesicht hätte man einfach schön nennen können, aber die Wirkung war anders: Es schien, als wäre es zunächst im heroischen Maßstab entworfen worden, mit einer energischen Stirn, starken Zügen und kräftigen Farben, der Entschlossenheit eines Rodin und allem, was wir mit Temperament und Charakter verbinden, dann aber zu lieblicher Hübschheit verändert worden   – bis zu einem Punkt, wo ein einziges Abrutschen des Meißels seine Qualität für immer verdorben hätte. Beim Mund war der Künstler das größte Risiko eingegangen   – er zeigte den sinnlichen Schwung von Cupidos Bogen wie beim Covergirl einer Modezeitschrift, und war doch genauso edel wie alles andere.
    »Werden Sie lange hier sein?«, fragte Nicole. Ihre Stimme war tief, ja, beinahe heiser.
    Zum ersten Mal erlaubte sich Rosemary den Gedanken, dass sie noch eine weitere Woche hier bleiben könnte.
    »Nein, nicht so lange«, sagte sie vage. »Wir sind im März in Sizilien gelandet und haben uns langsam nach Norden hochgearbeitet. Im Januar habe ich mir bei Dreharbeiten |32| eine Lungenentzündung geholt und musste erst einmal wieder gesund werden.«
    »Ach, herrje! Wie ist das denn passiert?«
    »Na ja, das kam vom Schwimmen«, Rosemary war sich nicht sicher, ob sie mit solchen persönlichen Enthüllungen anfangen sollte. »Ich hatte die Grippe, wusste es aber nicht. Es wurde eine Szene gedreht, bei der ich in einen venezianischen Kanal springen musste. Es war eine sehr aufwendige Szene, deshalb musste ich den ganzen Vormittag immer wieder und wieder da reinspringen. Mutter hatte einen Arzt mitgebracht, aber das hat nichts genutzt   – ich hab eine
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