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Zaehme mich

Zaehme mich

Titel: Zaehme mich
Autoren: Emily Maguire
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ausgezogen, aber deine Kleider waren ganz durchnässt, und ich musste dich ja irgendwie trocken kriegen … du hast bloß noch geschlottert und …« Wieder schluckte Mike und schloss kurz die Augen. »Was ist mit dir passiert? Hat dich dieser alte Kerl so weit gebracht?«
    »Nein. Das heißt, ich weiß nicht. Wenn du die Blutergüsse und so meinst, ja, das war Daniel, aber deswegen bin ich nicht hier. Das ist nicht der Grund … Ich war bei Jamie im Büro.«
    Mikes Kaffeebecher schepperte auf den Tisch.
    Schweigend beobachteten sie, wie sich die blaue Tischdecke mit der braunen Flüssigkeit voll saugte. Wenn Jess je wieder zurückkam, würde sie einen Anfall kriegen.
    »Was ist passiert?« Mike langte über den Fleck, um sich seine Zigaretten zu schnappen.
    Sie presste die Knie zusammen, bis es schmerzte. »Es war nicht gut. Er hat mich falsch verstanden, er …« Sarah nahm Mike die Zigarette ab und inhalierte tief. »Er war irgendwie total verwirrt.«
    Mike holte sich die Kippe zurück. »Du wirkst so auf die Leute, Sarah. Du kennst keine Grenzen, du brichst alle Regeln, und die Leute wissen nicht mehr, was sie machen sollen. Und Jamie … Mein Gott, der arme Kerl hat es einfach nicht verkraftet, dass du weg warst.
    Wahrscheinlich hatte er einen Kurzschluss im Hirn, als du plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht bist.« Mike überließ die Zigarette wieder Sarah. »Hat er dir wehgetan?«
    Sarah nickte.
    »Und weiß er das auch?«
    Sarah nickte wieder. Sie wusste nicht, ob sie jemals wieder an Jamie denken konnte, ohne an den Schmerz erinnert zu werden, als er ihr das gelbe Band aus dem Haar gerissen hatte.
    Das Telefon klingelte. Achselzuckend wandte sich Mike wieder zu Sarah. Mit den Fingerspitzen streichelte er ihre Wange. »Arme Sarah.« Seine Stimme drang kaum durch das beharrliche Schellen. »Arme Kleine.«
    Das Läuten brach ab, und Sarah bemerkte, dass ihre Schultern ganz verkrampft waren. Sie entspannte sie und lehnte mit geschlossenen Augen den Kopf an Mikes Arm.
    Sie atmete den Duft seines Rasierwassers ein. Plötzlich streifte sie der verrückte Gedanke, dass der Anruf von Daniel gekommen war, dass er irgendwie herausgefunden hatte, wo sie war, und dass er sie …
    Wieder schepperte das Telefon.
    »Mann, ich komm ja schon!« Mike hob vorsichtig Sarahs Kopf von seinem Arm und tätschelte sie leicht, bevor er aufstand und ans Telefon ging. Sarah beobachtete ihn und dachte, dass es bestimmt Daniel war, denn nur er würde es so beharrlich klingeln lassen, bis jemand abnahm. Nur er konnte in einem Zimmer
    nervenzerreißende Spannung erzeugen, ohne selbst anwesend zu sein.
    Es folgte ein Krachen, lauter und dumpfer als beim Aufprall von Mikes Kaffeebecher. Laut und dumpf wie das Geräusch eines neunzig Kilo schweren Mannes, der mit den Knien auf Holzbohlen fiel. Dann ein leises Klacken, als der Hörer neben ihm landete. Dann schrie Mike genau die gleichen Worte, die schon seit gestern Abend durch Sarahs Kopf hallten.
    »Jamie. Nein, Jamie! Nein, nein, nein, nein, nein.«

7
    Nur mit letzter Kraft stand sie die Beerdigung durch.
    Mehrere Male sackte sie zusammen und bedauerte es, dass Mike da war und sie auffing. In ihr waren Raubtiere, die ihr die Eingeweide zerfleischten, und am liebsten hätte sie sich den Bauch aufgerissen, um sie herauszulassen. Als sie die verdammte Kiste sah, in der er lag, glaubte sie, sie mit dem Schädel aufbrechen zu müssen, doch sie wurde von Leuten daran gehindert, die nicht verstanden, dass Jamie es so gewollt hätte. »Kannst du sie nicht im Zaum halten«, sagte jemand, und Mike packte sie fester und küsste sie auf die Stirn, und das Wühlen in ihren Eingeweiden wurde noch schlimmer. Jemand forderte Mike auf, sie nach Hause zu bringen, und das kam ihr unfair vor, weil auch noch ein Kind da war, das viel lauter plärrte als sie, doch sie war so müde, dass sie sich nicht mehr wehren konnte.
    Mike fuhr sie zu sich nach Hause und verfrachtete sie an den Küchentisch. Dann ging er noch mal fort, um zwei Flaschen Bourbon und Zigaretten zu holen. Jetzt konnte er sich nur noch besaufen und Klartext reden, meinte er nach seiner Rückkehr, und Sarah fragte sich, warum ihr diese Lebensklugheit nie an Mike aufgefallen war.
    »Vor ein paar Jahren«, erzählte sie kurz nach dem Öffnen der zweiten Flasche, »war ich mit einem Typ zusammen – es war Neujahr, und wir waren völlig durchgeknallt. Er ist total ausgerastet und hat es irgendwie geschafft, mich mit dem Kopf durch eine
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