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Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia

Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia

Titel: Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
Autoren: Maria V. Snyder
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meine Familie in den Bäumen! Aufmerksam suchte ich in Leifs Gesicht nach Spuren von Ähnlichkeit. Seine kräftige, muskulöse Statur und sein eckiges Gesicht unterschieden sich gewaltig von denen der anderen schlanken Clan-Mitglieder. Ich hatte nur das schwarze Haar und die grünen Augen mit ihm gemeinsam.
    Die folgenden Minuten wurden ziemlich peinlich, und am liebsten wäre ich unsichtbar gewesen. Ich musste Irys unbedingt fragen, ob es einen solchen Zauber gab.
    Eine ältere Frau, die ungefähr so groß war wie ich, trat auf uns zu. Als sie näher kam, warf sie Leif einen gebieterischen Blick zu, und er senkte den Kopf. Ohne Vorwarnung nahm sie mich in die Arme. Verunsichert wich ich zurück. Ihr Haar duftete nach Flieder.
    „Das habe ich mir seit vierzehn Jahren gewünscht“, sagte sie, während sie mich fester an sich drückte. „Wie sich meine Arme nach meinem kleinen Mädchen gesehnt haben.“
    Ihre Worte weckten Bilder aus der Vergangenheit in mir und machten mich wieder zu einem sechsjährigen Kind. Schluchzend schlang ich meine Arme um diese Frau. Vierzehn Jahre ohne meine Mutter hatten mich glauben lassen, völlig ungerührt zu sein, wenn ich ihr endlich gegenübertreten würde. Auf der Reise in den Süden hatte ich mir diesen Augenblick oft vorgestellt. Ich würde zwar gespannt sein, aber dennoch gelassen bleiben. Sehr nett, dich kennenzulernen. Leider müssen wir weiter zur Zitadelle. Doch auf die Woge der Gefühle, die nun über mir hereinbrach, war ich vollkommen unvorbereitet. Ich klammerte mich an diese Frau, als sei sie die Einzige, die mich vor dem Ertrinken bewahren könnte.
    Aus weiter Ferne drang Bavol Cacaos Stimme an mein Ohr. „Alle gehen jetzt zurück an die Arbeit. Die Vierte Magierin ist unser Gast. Heute Abend wollen wir ein Fest feiern, das diesem Anlass angemessen ist. Petal, richte die Gästezimmer her. Wir brauchen fünf Betten.“
    Das Stimmengewirr im Gemeinschaftsraum verebbte. Erst als sich das Zimmer fast geleert hatte, ließ mich die Frau – meine Mutter – aus ihren Armen. Noch fiel es mir ziemlich schwer, beim Anblick ihres ovalen Gesichts an „Mutter“ zu denken. Vielleicht war sie gar nicht meine leibliche Mutter. Und wenn sie es doch war, hatte ich dann das Recht, sie so zu nennen, nachdem ich all die Jahre fort gewesen war?
    „Dein Vater wird überglücklich sein“, sagte sie, während sie sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht schob. Ihre Zöpfe waren grau meliert, und in ihren blassgrünen Augen schimmerten unvergossene Tränen.
    „Wieso bist du dir so sicher?“, fragte ich. „Vielleicht bin ich gar nicht deine …“
    „Deine Seele füllt die Lücke in meiner Seele vollkommen aus. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass du zu mir gehörst. Ich hoffe, du wirst mich Mutter nennen, aber wenn du das nicht kannst, sag ruhig Perl zu mir.“
    Ich wischte mir mit dem Taschentuch, das Irys mir gegeben hatte, übers Gesicht und schaute mich nach meinem Vater um. Vater. Noch so ein Wort, welches das letzte bisschen Selbstbeherrschung, das mir geblieben war, zu zerstören drohte.
    „Dein Vater ist unterwegs und sammelt Kräuter“, sagte Perl. Offenbar konnte sie meine Gedanken lesen. „Sobald er es erfährt, wird er zurückkommen.“ Sie drehte den Kopf zur Seite, und ich folgte ihrem Blick. Leif stand ganz in unserer Nähe. Die Arme hatte er über der Brust gekreuzt, und seine Hände waren zu Fäusten geballt. „Deinen Bruder hast du ja schon kennengelernt. Steh doch nicht so steif da herum. Komm her und begrüße deine Schwester, wie es sich gehört.“
    „Ich kann den Geruch nicht ertragen“, erwiderte er, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte davon.
    „Mach dir nichts draus“, sagte meine Mutter. „Er ist ziemlich empfindlich. Dein Verschwinden hat ihm sehr zugesetzt. Er ist mit einer starken Zauberkraft gesegnet, aber sie ist …“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „Einzigartig. Er spürt, was ein Mensch getan und wo er es getan hat. Dabei geht es nicht um die konkrete Tat, sondern es ist vielmehr ein allgemeines Gefühl. Die Ratsversammlung bittet ihn um Hilfe, wenn sie Verbrechen aufzuklären, Streitigkeiten zu schlichten oder zu entscheiden hat, ob jemand schuldig oder unschuldig ist.“ Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. „Die Zaltanas, die über magische Kräfte verfügen, haben ungewöhnliche Talente. Wie ist es mit dir, Yelena? Ich spüre, wie die Magie durch dich hindurchströmt.“ Sie lächelte flüchtig.
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