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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman
Autoren: PeP eBooks
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Boden, und die jeweiligen Inhalte quollen wie Eingeweide aus einem aufgeschlitzten Bauch hervor. Es gab weder Aktenschränke noch Regale, um das Chaos zu bändigen. Er fragte sich, wie sie ohne Registrator und Assistent den Überblick behielt.
    Ein winziger Bereich des Schreibtisches war von Unterlagen frei geblieben, um in der Nähe der Wand einen fleckig braunen Wasserkessel und einen Becher unterzubringen. Richard las die Schrift auf dem Becher - »Deine Probleme sind nicht meine« - und schnitt innerlich eine Grimasse. Pulverkaffeegranulat vermischt mit Wasser bildete um den Fuß des Bechers eine klebrig braune Pfütze. Die Fenster aus Aluminium blickten auf einige graue Gebäude hinaus, während die Zimmerwände bis auf wenige eingerissene und verblichene Behördenposter von traurigen Kindern und Frauen mit misshandelten Handgelenken kahl waren. Richard vermochte sich nicht vorzustellen, wie man an einem solchen Ort arbeiten konnte, und doch besaß diese eindringliche Echtheit auch etwas Faszinierendes.

    Er dachte an die Räume seiner eigenen Kanzlei, die sich in einem neu renovierten Gebäude in De Waterkant befand. Die offene Bauweise des Hauses nutzte das Tageslicht durch mehrere geschickt konzipierte Portale, ohne dabei Hitze oder grelle Sonnenstrahlen hereinzulassen. Das Dach war in ein Sonnendeck samt Schirmen, Ruhesesseln und einer Bar aus dunklem Holz umgebaut worden. Von dort oben hatte man einen herrlichen Blick auf ganz Kapstadt - vom Fuß des Signal Hill über das Stadtbecken bis hin zum Hafen und der funkelnden Bucht vor Robben Island. Die Büroeinrichtung mit ihren Couchtischen aus Glas und Chrom, den Ledersofas, den breiten Konferenztischen und den Stühlen mit hohen Lehnen wirkte funktional und einladend. Eiswürfel klirrten in Wasserkrügen, in denen Zweige frischer Minze schwammen.
    Die Innenarchitektin, mit einer der Firmenpartner verheiratet, hatte die hellen Räume durch zurückhaltend farbenfrohe Kunstwerke noch freundlicher gestaltet. Im Foyer wurde der Besucher von einer Reihe von Leinwänden begrüßt, deren Struktur an Baumrinden erinnerte. Die Naturthematik wurde außerdem durch einen kleinen japanischen Garten und einen Bonsai auf jedem Couchtisch fortgesetzt, während Palmfarne und Bambus bis ins Dachgeschoss mit seinen Holzträgern hinaufreichten. Einer der Partner hatte einmal vorgeschlagen, in der Kanzlei eine Taubenfamilie frei fliegen zu lassen. Aber die Vorstellung, ihren Klienten die Verträge mit Vogelexkrementen präsentieren zu müssen, hatte die anfängliche Begeisterung der Kollegen im Keim erstickt.
    Jetzt sehnte sich Richard fast nach seinem Büro. Er malte sich aus, wie er mit einem Schokoladen-Biscotto den Milchschaum seines Cappuccinos auftunkte. Nomphula, die geschäftige Tea Lady, legte ihm immer einen Keks auf seine Untertasse, obwohl die Kekse eigentlich den Klienten vorbehalten waren,
die im Foyer auf ihre teuren Beratungsgespräche warteten. Der Büroleiter setzte auf »kleine Aufmerksamkeiten und tiefe Dekolletés«, wie er das nannte, um von dem schwindelerregenden Stundensatz der Seniorpartner abzulenken. Der Ausschnitt der Empfangsdame war tatsächlich atemberaubend.
    Doch trotz dieser hübschen kleinen Details besaß der schmuddelige Raum der Staatsanwältin mehr Leidenschaft und Charakter als Richards vornehme Kanzlei. Die wenigen Hilfsmittel unterstrichen für ihn nur noch ihre Entschlossenheit, ihren Einsatz - und seine fehlende Begeisterung für seinen Beruf. Du Toit bedurfte keiner Effekthascherei, da war er sich sicher. Sie musste zu gesellschaftlichen Anlässen keine amüsanten Geschichten erzählen. Er konnte sie sich nicht einmal als Gastgeberin vorstellen. Sie besaß weder die Leichtigkeit noch die Verlogenheit für solche Dinge. Abends im Bett, wenn sie mit ihren müden Gedanken allein war, wusste sie jedoch, was sie erreicht hatte. So abgedroschen es auch sein mochte - Richard verspürte auf einmal einen nagenden Zweifel an seinem Erfolg, seinen Mandanten bisher immer wieder frei bekommen zu haben. Geld und eitle Genugtuung reichten ihm plötzlich nicht mehr.
    »Mr Calloway.« Du Toit kam gleich zur Sache. »Wenn Sie mit Ihrem Mandanten noch mal unangekündigt hier auftauchen, werde ich Sie der Anwaltskammer melden. Sie wissen genau, dass Sie mir sein Kommen verschwiegen haben. Ich habe Ihnen keine Genehmigung erteilt.«
    »Tut mir leid«, erwiderte er ein wenig zu widerstandslos, wie er fand. »Ich habe wohl vergessen, Sie rechtzeitig
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