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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche
Autoren: Judith Kuckart
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Wiederkehr, summte sie dabei. Geöffnete Fenster verunsicherten Mutter Martha, wusste Stilti Knalles, denn unerwartet war dann zu viel Welt mit im Raum. Mutter Martha zerrte an ihrer Halskette aus Elfenbein, als sei sie ihr zu eng geworden. Stilti Knalles schaute ihr von oben herab dabei zu, bis Mutter Martha ihre Mohairstola von der Sessellehne riss. Macht doch alle, was ihr wollt!
    Sie verließ das Zimmer. Stilti Knalles zwinkerte Friedrich zu. In dem Moment hatte er begriffen, dass etwas Schwaches, an die richtige Stelle gesetzt, zu etwas Zwingendem werden kann.
    Folgendes, meine Damen und Herren, liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sagt er jetzt und spielt mit dem traurigen Frühstücksradieschen. Ich will Sie nicht langweilen, aber Langeweile haben wir nur, wenn wir nicht wissen, worauf wir warten! Genau so wird er es gleich sagen, und alle werden ihn begeistert anschauen. Hoffentlich. Er mag begeisterte Gesichter.
    Was ist mit Langeweile?!
    Dass Meret in der Tür steht, bemerkt er erst jetzt.
    Guten Morgen, kleiner Bruder!
    Sie setzt sich zu ihm. Einmal, da war ihre Haut wie Seide, und nicht nur der Klavierlehrer war in sie verliebt gewesen. Ein Geruch von Moschus, aber mit etwas Frischem darin, geht noch immer von ihr aus, vor allem, wenn sie sich zu heftig bewegt, wie jetzt, wo sie ihren Teller belädt. Sie riecht wie ein läufiges Tier, das in eine Puderdose gefallen ist, hat Mutter Martha immer gesagt.
    Meret trägt einen Hosenanzug aus dunkelblauer gewalkter Wolle und hat die Haare für diesen Tag so straff zurückgebunden, dass sie aussehen wie eine rostfarbene Kappe. Alles an ihr ist heute so perfekt, als hätte sie nie in einer Imbissbude gestanden und zweifelhaftes heißes Fleisch verkauft aus Liebe zu einem Mann und aus Angst vor dem Leben, was manchmal das Gleiche ist. Angst und Verliebtheit lagern in der gleichen Abteilung des Gehirns, hat Friedrich einmal gelesen. Meret hat für heute einen dieser dunklen Stifte benutzt, um ihre Lippen nachzuzeichnen, und in drei Schichten Creme und Make-up und Puder aufgetragen. Das hat Zeit gekostet, und es wirkt. Sie sieht wie ein Filmsternchen aus den Zwanzigern aus, das für Fotos gern auf großen Überseekoffern sitzt und mit einem kleinen Hut winkt.
    Kommst du gleich zur Begrüßungsfeier mit mir runter?
    Bei seiner Frage hat sie sich an die Schläfe gegriffen, als habe jemand eine Kamera auf sie gerichtet.
    Meret?
    Ja?
    Kommst du mit?
    Ich komme nach.
    Versprochen?
    Klar! Sie hebt die linke Faust.
    Zwischen der ersten Etage und dem Erdgeschoss bleibt Friedrich auf dem Treppenabsatz stehen und schaut durch das alte, grünlich schimmernde Glas des Flurfensters hinaus in den Garten. In den Park. »Park« hat die Großmutter aus Polen immer gesagt, wenn sie an dieser Stelle gestanden und von oben auf den Garten hinter Haus Wünsche hinuntergeschaut hat. Eine Allee von Kastanienbäumen führt auf einen künstlichen Teich zu, den die Großmutter sich damals bei der Ankunft in der deutschen Kleinstadt am Rand des Ruhrgebiets gewünscht hat. Eine weibliche Bronzefigur, die der Großvater als Teichdekoration gegen den Willen der Großmutter erwarb, balanciert auf dem gepanzerten Rücken einer Schildkröte. Die Frau ist nackt und breitet die Arme aus. So balanciert sie durch die Zeit und setzt an den Brüsten Moos an. Gleich neben ihr auf einem Wiesenrondell warten zwei Holztische mit Stühlen auf den Sommer, während unter ihnen wintergraue Erde wie eine drohende Glatze durch einen flachen, kraftlosen Rasen schimmert. Gleich nach dem Rondell macht der Weg einen Knick, nein, nicht zurück nach Polen, er wird nur schmaler, wie das ganze Gelände überhaupt, das ab hier auf der rechten Seite begrenzt ist vom Warenlager des Hauses Wünsche. Dort schlafen die Schaufensterpuppen nackt. Das Lager ist fensterlos, aber es gibt in der Wand noch immer den hellgrauen Schatten einer Tür, durch die man einmal in den Garten treten konnte. Der Großvater hat sie zumauern lassen, damit die kleinen Ladenmädchen in ihren schwarzen, glänzenden Arbeitskitteln nicht die Mittagspause zwischen Rittersporn und wilder Möhre rauchend im »Park« verbummelten.
    10.
    Ich habe meinen Schlüssel verloren.
    Welcher Gang, welche Nummer?
    F 15.
    Der Schwarze mit dem Wischer starrt Vera an wie der Überlebende eines Unglücks, dem man soeben gesagt hat, dass er alles noch einmal durchmachen muss.
    Wo kommen Sie eigentlich her?
    Aus Somalia. Warten Sie mal einen Moment hier.
    Mit so wenig
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